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Dystonie

Englischer Begriff

Dystonia

Definition

Unter Dystonie versteht man repetitive, anhaltende, unwillkürliche Bewegungen, die häufig einen drehenden Charakter haben und oft zu abnormalen Haltungen führen.

Vorkommen

Man unterscheidet die Dystonien anhand der Topologie und der Ätiologie. Topologisch spricht man von fokalen Dystonien, wenn sie nur auf eine Körperregion bezogen sind, segmentale Dystonien betreffen zusammenhängende Körperregionen, z. B. zwei kraniale und zervikale Muskelgruppen, bei den generalisierten Dystonien sind mindestens ein Bein und ein weiteres Segment betroffen. Die Hemidystonien sind meist sekundär und betreffen Arm und Bein. Daneben unterscheidet man noch aufgabenspezifische Dystonien, die nur bei bestimmten Tätigkeiten auftreten. Nach den ätiologischen Ursachen teilt man die Dystonien in primäre (primär-sporadische, primär-hereditäre) und sekundäre Dystonien ein. Tabelle 1 gibt eine Übersicht.


Tabelle 1.
Primäre und sekundäre Dystonien.

Ätiologie

Erbgang

Symptome

Primär-sporadische Formen

idiopathische Torsionsdystonie

Beginn im Erwachsenen- und Kindesalter, generalisiert, segmental, fokal, Drehung des Kopfs oder des Rumpfs zu einer Seite

Primär-hereditäre Formen

autosomal-dominant

klassische Oppenheim-Dystonie, DYT1, Chromosom 9q34.1

Beginn in Jugend, meist segmental, DYT6, Chromosom 8p21–p22

Torticollis des Erwachsenenalters, DYT7, manchmal Chromosom 18p

Non-DYT1, DYT4, Dysphonie, variabel

autosomal-rezessiv

früh beginnende Form DYT2, segmental, generalisiert

Sekundäre Formen

Dystonie-Plus

sporadisch

paroxysmale Dystonie

myoklonische Dystonie

Dystonie bei Parkinson-Syndrom

hereditär

autosomal-dominant

paroxysmale dystone Choreoathetose, Präzipitation durch Stress, Alkohol, Müdigkeit, DYT8, Chromosom 2q33–q25

paroxysmale Athetose mit Ataxie bzw. Attacken von Dystonie, Choreoathetose, Doppelbilder, Parästhesien, Attacken durch Belastung, Alkohol, Müdigkeit, DYT9, Chromosom 1p21–p23

paroxysmale kinesiogene Choreoathetose, Dystonie, ausgelöst durch plötzliche Belastung, DYT10

myoklonische Dystonie, alkoholsensitiv

Dystonie bei Parkinson-Syndrom, DYT12

Dopa-responsive (Segawa-Syndrom), DYT5a, Chromosom 14q22.1–q22.2

autosomal-rezessiv

Dopa-responsive

X-gebunden-rezessiv

x-linked Dystonie bei Parkinson-Syndrom, DYT3, Chromosom Xq13.1

sporadisch

Morbus Parkinson

progressive supranukleäre Blickparese

Multisystematrophie

hereditär

Morbus Huntington, Morbus Wilson, Morbus Hallervorden-Spatz, familiäre Basalganglienverkalkung, spinozerebelläre Degeneration

Assoziationen mit metabolischen Erkrankungen

Homozysteinurie, Glutaratazidämie, Methylmalonatazidämie, Morbus Hartnup, Tyrosinose

Lipidosen

metachromatische Leukodystrophie, GM1-Gangliosidose, GM2-Gangliosidose, Hexosaminidase-A- und -B-Mangel, Zeroidlipofuszinose, dystone Lipidose

sonstige metabolische Erkrankungen

mitochondriale Enzephalopathien, Lesch-Nyhan-Syndrom, Triosephosphatase-Isomerase-Mangel, Vitamin-E-Mangel

erworben

perinatale Hirnläsionen und Kernikterus, Infektionen, Toxine, Medikamente, paraneoplastische Syndrome, fokale ZNS-Läsionen, Läsionen des peripheren Nervensystems

Psychogene Formen

Pseudodystonien (häufig Torticollis)

atlantookzipitale Subluxation, Arnold-Chiari-Syndrom, fokale Anfälle, Trochlearisparese, vestibulärer Torticollis, Tumoren der hinteren Schädelgrube, Weichteiltumore, kongenitales Klippel-Feil-Syndrom, Sandifer-Syndrom, kongenitale Muskelläsionen, Stiff-man-Syndrom


Bei den Dystonien kommt es zu einem fehlerhaften Zusammenspiel der Muskulatur, welches zu Hypertrophie einiger Muskeln mit nachfolgenden Schmerzen und Fehlhaltung führt.

Die Pathophysiologie ist bislang nicht geklärt, die Störung liegt vermutlich im Basalganglienbereich; medikamentös induzierte Dystonien bei L-Dopatherapie, Neuroleptika, d. h. Medikamenten, die in den Dopaminstoffwechsel eingreifen. Symptomatische Dystonien: Läsionen im Putamen und Thalamus, DYT5-Reduktion der Dopaminsynthese. Diskutiert werden auch Umorganisationsprozesse im Kortex. Prävalenz aller Dystonien kombiniert: 39 / 100.000.

Diagnostik

Elektromyographie: Identifikation der beteiligten Muskeln; Bildgebung: kraniale und zervikale Magnetresonanztomographie; Labor: Kupfer, Coeruloplasmin; Gentests.

Differenzialdiagnose

Generalisierte Dystonien: 3,4 / 100.000; in 60 % der Fälle Krankheitsbeginn vor dem zehnten Lebensjahr, bei 50 % fokal, 90 % der Dystonien des Jugendalters hereditär (Ashkenazi-Juden).

Fokale Dystonien: 29,5 / 100.000; Fluktuationen der Ausprägung häufig.

Spontane orale Dyskinesien: 10 % der über 60-Jährigen.

Genetische Tests.

Therapie

Konservative/symptomatische Therapie

Neben der medikamentösen Therapie Physiotherapie, Ergotherapie, Behandlung sekundärer Beschwerden vonseiten der Gelenke oder Wirbelsäule durch physikalische Therapieformen und Massage.

Medikamentöse Therapie

Generalisierte Dystonie: L-Dopa, aber auch antidopaminerge Medikation, stereotaktische Eingriffe.

Paroxysmale kinesiogene Choreoathetosis: Carbamazepin.

Paroxysmale non-kinesiogene Dystonie: Acetazolamid.

Spontane orale Dyskinesien: Tetrabenazin.

Fokale Dystonien: Botulinumtoxin A, B (chemische Denervierung der Muskulatur, insbesondere bei fokaler Dystonie), L-Dopa, Baclofen, Trihexyphenidyl, Tetrabenazin, Haloperidol, Clonazepam, , Pimozid.

Operative Therapie

Muskelkorrigierende Operationen, dorsale Rhizotomien; tiefe Hirnstimulation (Globus pallidus internus).

Bewertung

Generalisierte Dystonie: je älter die Jugendlichen, desto besser die Prognose.

Fokale Dystonien: im Allgemeinen geringere Progression der Erkrankung.

Botulinumtoxintherapie für fokale Dystonien sehr effektiv.

Tiefe Hirnstimulation bisher vor allem bei generalisierter Dystonie erprobt und erfolgreich.

Nachsorge

Physiotherapie, Ergotherapie.

Autor

Iris Reuter

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