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Myotonie

Englischer Begriff

Myotonia

Definition

Funktionsstörung des Muskeltonus, welche nur die Willkürmuskulatur betrifft.

Pathogenese

Übererregbarkeit der Muskelzellmembranen, welche meist genetisch bedingt ist, mit Ausnahme des Isaacs-Syndroms. Es handelt sich hierbei um Chlorid- und Natriumkanalerkrankungen.

Symptome

Nach willkürlicher Muskelkontraktion bleibt die Kontraktion des Muskels bestehen, es kommt zu einer verzögerten Erschlaffung. Neben Willkürbewegungen, insbesondere repetitiven Bewegungen, kann auch Beklopfen der Muskulatur oder Kältereiz eine über den Reiz hinausgehende Kontraktion erzeugen. Kälte wirkt im Allgemeinen verstärkend auf die Myotonie.

Diagnostik

Ein einfacher klinischer Test lässt den Verdacht auf eine Myotonie aufkommen. Der Patient wird aufgefordert, die Hand für fünf Sekunden fest zu drücken, dann rasch zu öffnen. Eine Unfähigkeit des Öffnens deutet auf eine Myotonie hin.

Perkussionsmyotonie: Klopfen mit dem Reflexhammer auf einen Muskel führt zu einer langandauernden Kontraktion.

EMG: An- und Abschwellen von Frequenz, Amplitude und Potentialen, besonders nach Bewegung der Nadel bzw. nach Willkürbewegung.

Man unterscheidet je nach Vererbungsmuster, klinischem Verlauf und EMG-Befunden. Definition nach Ricker 1994, Hatzen et al 1995: Myotonia congenita, Thomson/Becker: Paramyotonia congenita. Auslösung der Myotonie durch körperliche Arbeit und durch Kälte, myotone Dystrophie. Diese Erkrankungen werden unter Muskeldystrophie erklärt. Myotonie bei hyperkaliämischer Lähmung.

Kaliumsensitive Myotonie.

Neuromyotonie. Isaacs-Syndrom: Hier bilden sich Antikörper gegen Kaliumkanäle. Die Myotonia congenita-Thomson ist eine dominant vererbliche Chloridkanalerkrankung. Der Genlocus befindet sich auf 7q35. Der Beginn der Erkrankung liegt im ersten Lebensjahrzehnt, sie geht mit einer mäßigen Beeinträchtigung des Alltags einher und wird ausgelöst durch Muskelkontraktionsbesserung durch Üben, keine Beeinflussung durch Kälte oder Kaliumionen.

Becker-Myotonie: Chloridkanalerkrankung, welche autosomal rezessiv vererbt wird, Gen und Genlocus ist entsprechend wie bei der Thomson-Myotonie. Erkrankung bricht am Ende des ersten Lebensjahrzehntes aus, die Kinder sind schwerer betroffen als Kinder mit Becker-Erkrankung. Auslösefaktoren und Besserung der Beschwerden entsprechen denen bei der Thomson-Myotonie.

Die Myotonia permanens bzw. fluctuans ist eine acetatzolamidsensitive Myotonie. Die kaliumsensitiven Myotonien haben die Lokalisation des Gendefektes bei 7q23-25, das verantwortliche Gen ist SCN4A. Die Myotonia fluctuans manifestiert sich in der zweiten Lebensdekade, die anderen beiden bereits in der ersten.

Bei der Myotonia permanens sind die Patienten am stärksten betroffen, die Muskulatur findet sich in einer Dauerkontraktion. Es gibt keinen Einfluss durch körperliche Belastung. Bei körperlicher Belastung werden die Myotonia fluctuans und die acetazolamidsensitive Myotonie schlechter. Kälte erzeugt bis auf das Krankheitsbild der Myotonia fluctuans eine Verschlechterung der Symptome. Es findet sich eine ausgeprägte Kaliumempfindlichkeit. Alle kaliumabhängigen Lähmungen, welche Natriumkanalerkrankungen sind, gehen bis auf die hypokaliämischen Lähmungen mit einer myotonen Reaktion einher. Die Erkrankungen liegen auf dem Genlocus 17q23-25 SCN4A. Die Erkrankungen treten im ersten Lebensjahrzehnt auf, sind geringer ausgeprägt, rufen jedoch teilweise schwere Lähmungen hervor. Gebessert wird das Krankheitsbild durch körperliche Aktivität. Das Kalium ist während der Lähmung hoch. Sekundäre Formen können schwer unterschieden werden. Die acetazolamidsensitive Myotonie spricht sehr gut auf Acetazolamid an.

Die Paramyotonia paradoxa (Eulenburg) ist eine Natriumkanalerkrankung, welche auf demselben Genlocus manifestiert ist wie die vorausgegangenen. Auch hier tritt die Erkrankung im ersten Lebensjahrzehnt, spätestens mit 15 Jahren ein und zeigt eine gering bis mäßig ausgeprägte Myotonie. Verschlechterung tritt durch Kälte, Aktivität und Kaliumerhöhung ein.

Klinische Untersuchung, Belastungs-Tests, CK-Bestimmung, genetische Tests, EMG-Diagnostik, evtl. Muskelbiopsie, ggf. Vaskulitisdiagnostik.

Therapie

Medikamentöse Therapie

Bei den hyperkaliämischen Lähmungen sollte Glucose und Insulin gegeben werden als Notfallmaßnahme. Ansonsten kann Cortison verabreicht werden, teilweise Thiazid, Diuretika. Bei der Thomson-Myotonie ist Mexitil das Mittel der ersten Wahl, zusätzlich kann Chinin, Procainamid oder Phenytoin gegeben werden, auch Dantrolen. Bei der Becker-Myotonie gleiche Medikation wie bei Thomson, ebenso bei der Paramyotonia congenita, bei der Myotonia permanens und bei der Myotonia fluctuans. Bei den hyperkaliämischen Lähmungen empfiehlt man wenig körperliche Aktivität, kohlenhydratreiche Ernährung, Meidung von Kaliumzufuhr, Acetazolamid und Cortison.

Dauertherapie

Bei leichter Ausprägung der Thomson- und Becker-Myotonie ist gar keine Therapie notwendig. Auch bei der Paramyotonie ist meist keine Dauermedikation notwendig.

Bewertung

Myotonien bedürfen nur bei schwerer Ausprägung einer Therapie und sind meist ohne wesentliche Beeinträchtigung der Lebensqualität.

Autor

Iris Reuter

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