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Tarsaltunnelsyndrom

Synonyme

Nervus-tibialis-Entrapmentsyndrom; Nervus-tibialis-Kompressionssyndrom

Englischer Begriff

Tarsal tunnel syndrome

Definition

Symptomatische Kompression des N. tibialis – oder seiner Äste – im tarsalen Tunnel.

Vorkommen

Die Kompression des N. tibialis findet am Durchtritt durch den tarsalen Kanal statt. Der tarsale Kanal wird ventromedial durch die Tibia und dorsolateral durch das Retinaculum flexorum gebildet. In dieses Kompartiment eingeschlossen sind die Flexoren gemeinsam mit dem posterioren Gefäß-Nerven-Bündel. Ebenfalls auf Höhe des medialen Malleolus teilt sich der N. tibialis in seine drei Endäste auf: N. plantaris medialis und lateralis sowie das mediale kalkaneale Nervenbündel. Typische klinische Symptome sind diffuse Schmerzen und/oder Dys- bis Hypästhesien im Bereich der Fußsohle. Häufig ist nur einer der drei terminalen Äste betroffen. In der Hälfte der Fälle ist die Ursache idiopathisch. In den übrigen 50 % kann eine Ursache für die Einengung des N. tibialis im Kanal gefunden werden. Ursachen hierfür können sein: ein Ganglion von Gelenk oder Sehnenscheide, Varikosis, Lipom, Tenosynovialitis, schwere Rückfußdeformation in Varus- oder Valgusstellung, posttraumatisches Narbengewebe nach Distorsionstrauma oder Malunionen nach Fraktur der Tibia oder Kalkaneus etc.

Diagnostik

Konsistente Hinweise in Anamnese, klinischer und elektromyographischer Untersuchung zusammen führen zur Diagnosestellung. Manche komprimierende Ursachen können lokal gesehen oder ertastet werden. Zur genauen Diagnose einer solchen Ursache kann eine Magnetresonanztomographie hilfreich sein. Eine neurologische Untersuchung mit Evaluation der Sensibilität der Fußsohle und der Zehenmotorik kann das Ausmaß der Nervenbeteiligung eingrenzen. In typischen Fällen kann durch Perkussion im Verlauf des Nervs eine elektrisierend ausstrahlende Dysästhesie provoziert werden (Tinel-Zeichen). Die elektromyographische Untersuchung beinhaltet die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit. Eine Verzögerung der Geschwindigkeit im Bereich des tarsalen Kanals weist auf eine lokale Störung des Nervs hin. Eine gleichzeitige Beurteilung des N. peroneus kann eine periphere Neuropathie ausschließen.

Differenzialdiagnose

Morton-Neurom, Fascitis plantaris, periphere Polyneuropathie, diabetische Polyneuropathie, Vaskulitiden, Kompressionssyndrome von Spinalnerven, Neurome.

Therapie

Akuttherapie

Nur notwendig bei akutem Tarsaltunnelsyndrom im Rahmen von traumatischen Kompressionssyndromen durch Frakturfragmente. Meist wird die Kompression durch Reposition der Fraktur dekomprimiert.

Konservative/symptomatische Therapie

Eine konservative Therapie hat Aussicht auf Erfolg, falls konstant einengende Ursachen im tarsalen Tunnel ausgeschlossen werden konnten. Entscheidend dabei ist dann die Therapie der verursachenden Pathologie, z. B. Varikosis mit Stützstrümpfen, Tenosynovialitis mit lokalen Antiphlogistika, Fehlstellungen des Rückfußes mit Orthesen. In einigen Fällen kann eine vorübergehende Immobilisierung im Gips oder Stabilschuh zur Beruhigung der Reizung im Tarsaltunnel führen.

Medikamentöse Therapie

Lokale und systemische antiphlogistische Therapie als unterstützende und therapeutische Behandlung. Lokale Infiltration mit Steroiden kann zu einer Beruhigung von chronischen Schwellungszuständen bei Tenosynovialitis oder Nervenödem führen. Wiederholte Steroidinfiltrationen können zur Degeneration der Sehnen im Tarsaltunnel und nachfolgenden Rupturen führen und sollten mit Bedacht eingesetzt werden. Generell kann bei kardiovaskulären Grunderkrankungen, welche zu Unterschenkelödemen führen, eine angepasste medikamentöse Therapie auch die Enge im Tarsaltunnel optimieren.

Operative Therapie

Eine besonders gute Prognose hat die operative Dekompression, wenn eine komprimierende Masse als Ursache für das Tarsaltunnelsyndrom gefunden werden konnte. Resektion eines Ganglions, eines Lipoms, einer therapieresistenten hyperthrophen Tenosynovialitis sind dankbare Eingriffe. Die Korrektur von Malunionen mit ossärer Kompression, Resektion von Narbengewebe, Korrektur von Rückfußfehlstellungen sind anspruchsvoll. Von Vorteil ist eine möglichst genaue Lokalisation des Nervenentrapments durch Elektromyogramm, Tinel-Zeichen und neurologischer Untersuchung. Je nach Lokalisation wird dann der N. tibialis in seinem Verlauf von proximal, ca. 10–15 cm oberhalb des medialen Malleolus bis nach distal in Blutleere dekomprimiert. Das Retinaculum flexorum wird über der Sehne des M. tibialis posterior gespalten. Normalerweise wird der N. tibialis durch die Sehne des M. flexor digitorum communis bedeckt. Von proximal nach distal kann der Nerv meistens gut verfolgt werden. Der freiliegende Nerv wird auf epineurale Einschnürungen hin untersucht und gegebenenfalls eine Epineurotomie in Verlaufsrichtung durchgeführt.

Sprechen die Befunde für eine Kompression des N. plantaris medialis, wird die Hautinzision entlang der dorsalen Kante des M. abductor hallucis weitergeführt. Distal des Talonavikulargelenks taucht der Nerv in einen fibroossären Tunnel, welcher bei Bedarf eröffnet werden muss.

Falls die Symptome eine Kompression des N. plantaris lateralis vermuten lassen, wird die Hautinzision mehr plantarwärts entlang des Ursprungs des M. abductor hallucis geführt. Falls die Kompression im Bereich der Fußsohle lokalisiert wurde, kann es notwendig sein, den Ursprung des M. abductor hallucis abzulösen, um den Verlauf des N. plantaris lateralis zu dekomprimieren.

Die medialen kalkanealen Äste entspringen im Regelfall von der posterioren Seite des N. plantaris lateralis, können jedoch bereits weit proximal vom N. tibialis abgehen. Eine Dekompression muss bis zur plantaren Tuberositas des Kalkaneus im Fall eines Entrapments des Nervenastes des M. digitus quintus zwischen Plantarfaszie und Tuberositas geführt werden.

Im Anschluss an die vollständige Dekompression werden die Blutsperre gelöst und eine sorgfältige Blutstillung durchgeführt, ein subkutaner bzw. kutaner Hautverschluss und ein Kompressionsverband angelegt.

Dauertherapie

Ist die Ursache des Tarsaltunnelsyndroms eine Kompression durch Rückfußvarus oder eine Distraktion durch Rückfußvalgus, kann in einzelnen Fällen eine Korrektur der Fehlstellung mit Fersenschale, individueller Fußbettung oder Schuh eine Dauertherapie darstellen. Bei entsprechender Indikation kann diese Korrektur auch operativ durchgeführt werden und benötigt anschließend keine Dauertherapie.

Bewertung

Primär muss bei passender Anamnese und Klinik das Elektromyogramm eine Nervenleitungsstörung im Tarsaltunnel bestätigen und eine Polyneuropathie ausschließen. Anschließend kann mithilfe der Magnetresonanztomographie eine klinisch nicht fassbare komprimierende Ursache im Tarsaltunnel ausgeschlossen oder definiert werden. Während dieser Abklärungen können bereits die symptomatische Therapie mit lokaler und/oder systemischer Gabe antiphlogistischer Medikamente und die orthopädietechnische Therapie bei Deformitäten begonnen werden. Stellt sich keine Besserung ein, kann eine Steroidinfiltration oder eine probatorische Immobilisation im Gips für zwei bis vier Wochen vorgenommen werden. Findet sich eine komprimierende Ursache in der klinischen Untersuchung oder im Magnetresonanztomogramm oder bleibt auch die Immobilisation ohne Erfolg, wird die operative Dekompression des Tarsaltunnels vorgenommen.

Nachsorge

Postoperativ kann ein frühes Funktionstraining des Sprunggelenks Narbenadhäsionen im Tarsaltunnel verringern. Zu Beginn wird durch Hochlagern und Entlastung an Stöcken die lokale Weichteilschwellung reduziert. Bei nicht-verschlossenem Retinaculum flexorum sollte eine forcierte aktive Inversionssupination bis zur gesicherten Wundheilung unterbleiben, um Sehnenluxationen vorzubeugen. Anschließend kann nach ca. ein bis zwei Wochen zur Vollbelastung nach Maß der Beschwerden übergegangen werden.

Autor

Geert I. Pagenstert

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