Engelhardt (Hrsg.) Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie |
Sehnenruptur, ansatznahe; Sehnenausriss
Tendon rupture
Sehnenrisse entstehen durch direkte äußere Gewalteinwirkung oder durch plötzliche Maximalbeanspruchung, wenn die Muskelkraft die Reißfestigkeit der Sehne übersteigt.
Unter sehr hohen Belastungen kann sogar eine gesunde Sehne reißen. Meist besteht jedoch ein traumatischer, degenerativer oder toxischer Vorschaden, der zu einer Reduktion der Sehne geführt hat und somit eine Schwachstelle darstellt. Weiterhin spielen rezidivierende Mikrotraumen, muskuläre Dysbalance bei schlechter Koordination sowie Abnahme der Durchblutung – alters-, krankheits- oder medikamentös bedingt – eine Rolle. Die Bruchlast einer Sehne ist abhängig von Verformungsgeschwindigkeit, Sehnenquerschnitt, Alter und Geschlecht. Höhere Zuggeschwindigkeit bedingt einen höheren Bruchlastwert. Große Sehnen wie beispielsweise die Achillessehne weisen eine Bruchlast von 10.000 N auf. Bezüglich der Risslokalisation am Beispiel der Achillessehne finden sich überwiegend intratendinöse Rupturen. Lediglich 1,6 % der Rupturen können als Abrisse am Ansatz im Bereich des Kalkaneus klassifiziert werden.
Klinisch äußern sich akute Sehnenrupturen als starker, messerstichartiger oder als „wie ein Tritt in die Sehne“ beschriebener Schmerz. Manchmal beschreiben die Patieten ein Rissgeräusch wie das Reißen eines Seils. Bei kompletter Ruptur tritt ein sofortiger Funktionsverlust ein. Schwellung und Hämatom treten in unterschiedlicher Ausprägung und in unterschiedlicher zeitlicher Verzögerung auf. Typisch sind im akuten Stadium eine tastbare Delle im Bereich der Sehne und ein retrahierter Muskelbauch. Bei tiefer liegenden und durch die Muskulatur gut gedeckten Sehnen wie beispielsweise im Bereich der Rotatorenmanschette der Schulter ist der schmerzhafte Funktionsverlust das entscheidende Kriterium.
Klinische Untersuchung mit Inspektion (Fehlstellung, Hämatomverfärbung, Schwellung), Palpation (Druckschmerz, tastbare Delle, Verdickung), Bewegungsprüfung (Instabilität, atypische Beweglichkeit, Kraftreduktion bis Kraftverlust).
Röntgenuntersuchung: Indikation bei Sehnenabriss mit knöchernem Fragment. Eventuelle Ossifikationen in und um die Sehne lassen sich gut darstellen.
Ultraschall: Hochauflösende Ultraschalldiagnostik kann gut Ruptur, Lokalisation und Größe eines Defekts darstellen. Einschränkung bei chronischen Rupturen und Ossifikationen.
Margnetresonanztomographie: State of the Art bei der Diagnostik von akuten und chronischen Sehnenabrissen. Hohe Sensitivität und Spezifität, gute Reproduzierbarkeit.
In Abhängigkeit von der Lokalisation bieten sich unterschiedlichste differentialdiagnostische Möglichkeiten an:
Die Therapie beim kompletten Sehnenabriss beim aktiven Patienten ist heutzutage überwiegend eine operative.
Kryotherapie, Kompression, Vermeidung von Schwellung bzw. abschwellende Maßnahmen.
Ruhigstellung mit Gips oder Orthese unter Annäherung der rupturierten Sehnenenden.
Nicht-steroidale Antirheumatika – entzündungshemmend, schmerzstillend als Basistherapie. Im Bereich der Schulter ist bei massiven Schmerzen fallweise der Einsatz von Opioiden indiziert.
Reinsertion der Sehne. Ziel ist die Rekonstrution der Sehne zum frühestmöglichen Zeitpunkt, wobei die Sehnenenden nach Entfernung von möglichen Nekrosen mit Nähten adaptiert werden. Die ansatznahen Abrisse der Sehnen können gut mit transossären Nähten oder Fadenankern versorgt werden.
Entscheidend ist nach Abschluss der Sehnenheilung die funktionelle Therapie unter langsamem Aufbau der Muskulatur und Wiederherstellung der Funktion
Konservatives Vorgehen bei Kontraindikationen (Diabetes, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Thrombose), veraltete Ruptur mit kontrakter, nicht-korrigierbarer muskulärer Situation in Abhängigkeit von der Lokalisation.
Bei aktiven Patienten und rezenter Ruptur überwiegend operative Reinsertion und Naht.
Je nach Lokalisation und Stabilität der Naht wird eine frühfunktionelle Behandlung angestrebt. Allerdings weist die Sehne auch bei stabiler Nahttechnik eine auf 10–50 % der ursprünglichn Festigkeit reduzierte Stabilität auf. Die Heilungsdauer beträgt im Schnitt sechs Wochen.
Abb. 1.
Kraftsportler: akuter Abriss der Sehne des M. trizeps am Olekranon, Foto vor der Verletzung.
Abb. 2.
Röntgen: Ossifikationen und knöcherner Abriss der Sehne.
Abb. 3.
Magnetresonanztomographie: tiefreichende komplette Ruptur der Sehne distal des Olekranon mit Retraktion.
Abb. 4.
Postoperatives klinisches Bild nach Reinsertion: Hämatom entlang des Muskelbauchs des M. triceps.