Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Bauchmuskelparese

Synonyme

Bauchmuskellähmung

Definition

Durch Läsion von Rumpfnerven verursachte motorische Defizite der Bauchmuskulatur.

Pathogenese

Die ventralen Äste der Interkostalnerven I–XI versorgen die Brust- und Bauchwandmuskulatur. Hauptaufgabe ist die Versorgung der Interkostalmuskeln, die die Interkostalräume verspannen, und die Innervation der Bauchmuskulatur. Motorische Ausfälle eines Interkostalnervs führt zu geringen motorischen Symptomen; zumindest zwei oder mehr benachbarte Interkostalnerven müssen ausgefallen sein, um zu einer Lähmung zu führen. Ursächlich kommen als mechanische Läsionen der thorakale Bandscheibenvorfall, eine Läsion der Wurzel L2 durch einen hohen lumbalen Bandscheibenvorfall, selten direkte Stichverletzungen sowie direkte Schädigungen bei Rippenfrakturen und nach ausgedehnten Operationen im Thoraxbereich in Frage.

Wurzelschädigungen entzündlicher Art treten infolge eines Herpes zoster oder einer Borreliose auf. Fortgeleitete Entzündungen durch tuberkulöse oder eitrige Pleuritiden, paranephritische oder retroperitoneale Abszesse oder Senkungsabszesse von Spondylitiden der Hals-und Brustwirbelsäule. Primäre spinale Tumore können radikuläre Schmerzen auslösen und zu motorischen Ausfällen führen. Schwannome (Neurinome) gehen von der hinteren Spinalwurzel aus und wachsen meist durch das Foramen intervertebrale. Intensivste Schmerzen werden durch Tumorinfiltration der Nervenwurzeln verursacht, meist direkt aus der Nachbarschaft wie bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen, Mammakarzinomen, Pleuraendotheliomen, paravertebralen Lymphomen, aber auch möglich bei Leukämien, malignen Lymphomen oder Sarkomatosen.

Eine Sonderform der Bauchmuskelparesen ist die diabetische thorakoabdominale (trunkale) Neuropathie. Sie tritt vorwiegend bei Patienten mit langjährigem Diabetes (Typ I oder II) und distaler symmetrischer Polyneuropathie auf, der Infarkte in thorakalen Spinalnerven zugrunde liegen sollen.

Symptome

  • Mechanische Ursache der Bauchmuskelparese: radikuläre Schmerzen, welche aktivitätsabhängig sind, sensomotorische Ausfälle passend zum Versorgungsgebiet der Interkostalnerven.
  • Entzündliche Genese: Schmerzen, bei Befall mehrerer Wurzeln motorische Ausfälle.
  • Tumorbedingt: heftige Schmerzen, die nicht aktivitätsabhängig sind.
  • Diabetische Ursache: Führend sind heftige Schmerzen mit Parästhesien, die im Bereich der Bauchwand lokalisiert sind. Es besteht eine Überempfindlichkeit gegen Berührungsreize. Motorische Ausfälle sind oft bilateral und asymmetrisch.

Diagnostik

Anamnese richtungsweisend. Klinische Untersuchung: Bei der Funktionsprüfung der Bauchdecken „wandert“ der Nabel beim Aufrichten aus dem Liegen zur Gegenseite der Lähmung, bei beidseitiger Lähmung wandert der Nabel nach kranial. Eine Läsion der Nn. intercostales VII–XII führt zu einem Verlust des Bauchhautreflexes in der betreffenden Etage. Elektromyographie: Nachweis von Denervierungszeichen, Messung der Nervenleitgeschwindigkeiten zur Abklärung Polyneuropathie. Lumbalpunktion bei Verdacht auf entzündliche Genese bzw. bei Verdacht auf Meningeosis carcinomatosa oder lymphomatosa. Magnetresonanztomographie: Abklärung einer mechanischen Wurzelkompression, eines spinalen Tumors.

Differenzialdiagnose

Hernien, Narbenhernie, Rupturen des M. rectus abdominis.

Therapie

Je nach Ursache der Parese und Grundleiden.

Konservative/symptomatische Therapie

Entzündliche Genese: analgetisch, antibiotisch, tuberkulostatisch; metabolische Genese: Diabeteseinstellung.

Operative Therapie

Mechanische Ursache: Bandscheibenvorfall, Tumor, Abszessausräumung.

Bewertung

Prognose abhängig von Grunderkrankung; bei diabetischer Schädigung oft Rückbildung innerhalb von ein bis zwei Jahren; bei mechanischer Läsion nach operativer Druckentlastung der Wurzel nicht immer Rückbildung der motorischen Ausfälle.

Nachsorge

Je nach Grundleiden.

Autor

Iris Reuter