Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Strecksehnenabriss

Synonyme

Strecksehnenavulsion; Busch-Fraktur

Englischer Begriff

Avulsion of the extensor digitorum

Definition

Ausriss der Sehnen des M. extensor digitorum longus von den Endphalangen der Finger oder Zehen oder der Sehne des M. extensor pollicis longus vom Daumenendglied bzw. der Sehne des M. extensor hallucis longus vom Großzehenendglied.

Pathogenese

An den Langfingern und den Zehen kann es bei einer forcierten Flexion im Endgelenk (z. B. bei Ballsportarten) zum Abriss der Sehne des M. extensor digitorum longus von der Basis eines Langfingerendglieds kommen (Hammerfinger). Der Mittelfinger ist am häufigsten betroffen. Ein knöcherner Abriss mit Fraktur der Endphalanx (Busch-Fraktur) ist bei einer passiven Hyperextension möglich. Ein Strecksehnenabriss am Daumen bzw. an der Großzehe ist selten, kann jedoch bei einem entsprechenden Unfallmechanismus entstehen.

Symptome

Die Patienten beklagen eine plötzlich eingetretene schmerzhafte oder auch schmerzlose Streckbehinderung im betreffenden Endgelenk.

Diagnostik

An den Fingern und Zehen imponiert eine eingeschränkte oder aufgehobene Streckfähigkeit im Endgelenk. Das Endglied nimmt spontan eine unterschiedlich starke Beugestellung ein, die passiv redressierbar ist. Gelegentlich sind eine geringe Schwellung und Druckschmerzhaftigkeit vorhanden. Besteht die Strecksehnenruptur unbehandelt über längere Zeit, so kann sich kompensatorisch eine Überstreckstellung im Mittelgelenk entwickeln.

Röntgenologisch muss eine Fraktur der Endphalanx ausgeschlossen werden.

Differenzialdiagnose

Schwanenhalsdeformität

Therapie

Offene Verletzungen und knöcherne Ausrisse an der Endphalanx, die mehr als ein Drittel des Gelenks betreffen, werden primär operativ versorgt. Die geschlossenen subkutanen Strecksehnenabrisse können an den Langfingern und Zehen primär konservativ behandelt werden, am Daumen und an der Großzehe hingegen primär operativ.

Akuttherapie

Bei offenen Verletzungen mit Ausriss der Strecksehne oder knöchernen Ausrissen mit Bildung eines großen Fragments ist eine primär operative Therapie indiziert. Bei gedeckten subkutanen Strecksehnenrupturen sollte an den Langfingern unmittelbar posttraumatisch eine konfektionierte oder individuell geformte Orthese angepasst werden, die das Fingerendgelenk in Extension hält. An den Kleinzehen reicht ein Zügelverband aus.

Konservative/symptomatische Therapie

Bei der Verordnung bzw. Anpassung einer Schiene oder Orthese für die Langfinger ist zu berücksichtigen, dass nur bei Beugung im Mittel- und Grundgelenk des Langfingers eine optimale Adaptation der distalen Strecksehne zu erreichen ist. Deshalb ist die individuelle Versorgung mit einer Kunststoffschiene den konfektionierten Stack-Schienen, die nur das Endgelenk immobilisieren, vorzuziehen. Die Dauer der Immobilisation beträgt vier bis sechs Wochen, wobei anschließend noch ein Tape-Verband oder das Tragen einer Stack-Schiene empfehlenswert ist. An den Zehen sind redressierende Tape- oder Pflasterzügelverbände ausreichend, die das Kleinzehenendgelenk in Extensionsstellung halten.

Operative Therapie

Bei offenen Verletzungen mit Abriss der Strecksehne wird an den Langfingern und den Kleinzehen eine primäre Sehnennaht durchgeführt und das Endgelenk temporär mit einem Kirschner-Draht in Streckstellung stabilisiert. Ausrisse am knöchernen Ansatz können durch transossäre Nähte oder Fadenanker versorgt werden. Liegt ein knöcherner Strecksehnenausriss vor, der mehr als ein Drittel der Endphalanx betrifft und sich nicht ausreichend reponieren lässt, ist eine offene Reposition und Stabilisation mit Kirschner-Drähten indiziert. Die früher häufig verwendete Lengemann-Naht wird heute weitgehend durch schonendere Sehnennahtmethoden ersetzt. Am Daumen und an der Großzehe sollte ebenfalls eine Sehnennaht oder eine knöcherne Reinsertion der Sehne durchgeführt werden.

Bewertung

Wenn der betreffende Finger oder die Kleinzehe nach einer subkutanen distalen Strecksehnenruptur unmittelbar postoperativ konsequent immobilisiert wird, ist mit einem funktionell guten Ausheilungsergebnis zu rechnen. Auch wenn die aktive endgradige Streckung des Endglieds nicht vollständig erreicht wird, resultiert hieraus keine Funktionsbehinderung. Sekundäre Rekonstruktionen distaler Strecksehnenausrisse führen oft nicht zu dem angestrebten Ergebnis, weshalb die Indikation zur operativen Revision alter Strecksehnenabrisse nach ausführlicher Information des betreffenden Patienten streng gestellt werden sollte. Die operative Reinsertion am Daumen und an der Großzehe führen in der Regel zu guten funktionellen Ergebnissen, auch wenn die aktive Beugefähigkeit endgradig eingeschränkt sein kann.

Nachsorge

Bis zum Abschluss der Sehnenheilung (sechs bis zwölf Wochen) sollte der Patient in fachärztlicher Kontrolle verbleiben.

Autor

Renée Fuhrmann