Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Wirbelkanalstenose

Synonyme

Spinalkanalstenose; Claudicatio spinalis

Englischer Begriff

Spinal stenosis

Definition

Morphologisch determinierte Einengung des Spinalkanals und/oder der Foramina intervertebralia.

Pathogenese

Die degenerative Einengung des Spinalkanals sowie der lateralen Recessus kommt durch eine Volumenzunahme der Wirbelgelenke zustande, die durch osteophytäre Randzacken verstärkt werden kann. Weiterhin kann die Stenose durch eine Hypertrophie des Lig. flavum und eine gleichzeitige Bandscheibenprotrusion verstärkt werden. Infolgedessen entwickeln die neuralen Strukturen eine mechanisch bedingte Ischämie, eine ödematöse Aufquellung und langfristig fibrotische Umbauprozesse. Als prädisponierend gelten eine Hyperlordose, ein degeneratives Drehgleiten sowie Übergewicht mit einer Körperschwerpunktverlagerung nach ventral.

Seltene angeborene Lumbalstenosen (z. B. bei Achondroplasie) beruhen auf Fehlanlagen der Wirbelsäule (z. B. verkürzte Pedikellänge).

Symptome

Meist sind ältere Menschen (siebtes bis achtes Dezenium) von der Stenose betroffen. Nach längerem Stehen oder Gehen werden tiefsitzende Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in die Beine (radikulär oder pseudoradikulär), Gefühlsstörungen und ein Schweregefühl der Beine angegeben, die sich nach einer Ruhepause (Sitzen oder vornübergeneigtes Stehen) bessern. Fahrradfahren ist durch die entlordosierte Position der Lendenwirbelsäule meist unbegrenzt möglich. Bei Befall der Halswirbelsäule stehen neurologische Defizite (Gefühlsstörungen, muskuläre Schwäche, Gangstörungen) im Vordergrund.

Diagnostik

Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich meist eine Tonussteigerung der paravertebralen Muskulatur. Erschütterungsschmerzen über der Wirbelsäule sind häufig zu finden. Meist lassen sich bei Reklination der Wirbelsäule Schmerzen auslösen. Der Bewegungsumfang der Wirbelsäule ist eingeschränkt. Klinische Zeichen einer radikulären Nervenirritation (segmentale Hypästhesien, Abschwächung der Kennmuskulatur, Reflexausfall) oder pathologische Nervendehnungszeichen (z. B. Lasègue-Zeichen) sind möglich, jedoch nicht obligat für die Lumbalstenose. Im Bereich der Halswirbelsäule ist eine Funktionseinschränkung häufig, jedoch stehen ataktische Störungen durch die begleitende Myelopathie im Vordergrund. Eine neurologische Untersuchung einschließlich elektrophysiologischer Messungen ist zur Abgrenzung der Wirbelkanalstenosen von anderen nervalen Erkrankungen sinnvoll.

Die bildgebende Diagnostik umfasst zunächst konventionelle Röntgenaufnahmen, auf denen sich meist ausgeprägte degenerative Veränderungen wie Spondylosen und Spondylarthrosen abgrenzen lassen. Funktionsaufnahmen der Wirbelsäule (seitlicher Strahlengang) in maximaler Extension und Flexion ermöglichen eine Aussage zu vermuteten Instabilitäten eines oder mehrerer Bewegungssegmente, sind aber hinsichtlich ihrer diagnostischen Wertigkeit umstritten. Die quantitative Bestimmung der Spinalkanalweite kann anhand ihres anteroposterioren Durchmessers erfolgen. Nach Verbiest (1980) liegt bei einer Weite von 10–14 mm lumbal eine relative und bei einer Weite unter 10 mm eine absolute Spinalkanalstenose vor. Da diese Aussage jedoch im Gegensatz zur Form des Wirbelkanals keine direkte Korrelation zum klinischen Befund hat, bleibt die Messung der Spinalkanalweite umstritten. Myelographien in Kombination mit einer Computertomographie oder eine Kernspintomographie sind gut geeignet, die Einengung des Wirbelkanals und der lateralen Recessus bildlich darzustellen.

Differenzialdiagnose

Erkrankungen der Iliosakralgelenke, Durchblutungsstörungen der Beine mit Claudicatio-Symptomatik, Facettensyndrom, Raumforderung durch Tumoren, neurologische Erkrankungen (z. B. multiple Sklerose, amyotrophe Lateralsklerose), Polyneuropathie.

Therapie

Da es sich bei der Wirbelkanalstenose um eine chronisch progrediente Erkrankung handelt, sind zunächst konservative Therapiemaßnahmen indiziert. Zunehmende und nicht beherrschbare Beschwerden, neurologische Defizite oder eine Aufhebung der schmerzfreien Gehstrecke können eine Indikation zum operativen Vorgehen darstellen. Ziel der operativen Behandlung ist die Dekompression der bedrängten nervalen Strukturen. Inwieweit eine gleichzeitige Stabilisation des Wirbelsäulensegments erforderlich ist, wird kontrovers diskutiert.

Akuttherapie

Analgetika, Antiphlogistika, Muskelrelaxantien.

Konservative/symptomatische Therapie

Neben der analgetischen Therapie können Wärmeanwendungen zur Reduktion des erhöhten Muskeltonus, entlordosierende Übungen (aktive Aufrichtung der Beckenkippung), Traktionsbehandlungen, lokale Infiltrationen (epidurale Injektionen, Wurzelblockaden bei radikulärer Symptomatik) und entlordosierende Orthesen zur Anwendung kommen. Im beschwerdefreien Intervall ist eine aktive Kräftigung der Rumpfmuskulatur durch isometrische Übungen indiziert.

Medikamentöse Therapie

Analgetika, Antiphlogistika, Muskelrelaxantien.

Operative Therapie

Entsprechend der Ergebnisse der bildgebenden Verfahren ist die operative Dekompression auf eine oder mehrere Bewegungssegmente auszudehnen. Im Vordergrund steht die Dekompression der neuralen Strukturen im Wirbelkanal und gegebenenfalls auch im lateralen Recessus. Dies kann je nach Ausprägung des Befunds bei fehlender Segmentinstabilität als Weichteildekompression (Resektion des Lig. flavum, Nukleotomie) und Ausdünnung der Wirbelbögen („Undercutting“) sowie Erweiterung des Foramen intervertebrale unter Erhalt der Wirbelgelenke erfolgen. Fortgeschrittene Stenosen, die vor allem auf eine Hypertrophie der Wirbelgelenke oder eine begleitende Segmentinstabilität zurückgeführt werden müssen, erfordern hingegen an der Lendenwirbelsäule meist eine transpedikuläre Stabilisation mit posterolateraler Stabilisierung (posteriore lumbale interkorporelle Fusion). Dies ist erforderlich, um die aus der ossären Dekompression (Facettektomie, Hemilaminektomie, Laminektomie) folgende Instabilität ausgleichen zu können. An der Halswirbelsäule steht die Dekompression des Wirbelkanals mit anschließender Spondylodese im Vordergrund.

Dauertherapie

Entlordosierende Übungsbehandlungen der Lenden- und Brustwirbelsäule sowie isometrische Kräftigungsübungen der paravertebralen Muskulatur sind langfristig erforderlich.

Bewertung

Die konservative Therapie mit ihren zahlreichen Behandlungsmöglichkeiten ist geeignet, die betroffenen Patienten langfristig zu führen. Nicht beherrschbare Beschwerden und eine zunehmende Reduktion der schmerzfreien Gehstrecke sowie neurologische Defizite stellen eine Indikation zum operativen Vorgehen dar. Die subjektiven Ergebnisse sind aufgrund der suffizienten Dekompression neuraler Strukturen gut.

Nachsorge

Die postoperative Nachsorge mit regelmäßigen klinischen und röntgenologischen Befundkontrollen durch einen Facharzt ist bis zum Erreichen einer Beschwerdefreiheit indiziert. Dies kann über mehrere Monate erforderlich sein.

Autor

Renée Fuhrmann