Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Vertigo

Synonyme

Schwindel

Englischer Begriff

Vertigo; Dizziness

Definition

Schwindel entsteht durch eine Fehlintegration der an der Raumorientierung beteiligten Systeme.

Vorkommen

An der Raumorientierung sind das visuelle, vestibuläre und somatosensorische System beteiligt. Schwindel bezeichnet die subjektive Wahrnehmung. Bei Schwindel können Gang- und Standunsicherheit (bis zur Ataxie), Störungen der Blickstabilisation, Nystagmus, Übelkeit und Erbrechen auftreten (Medulla).

Häufigste Ursachen des Schwindels sind:

Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel: heftige Drehschwindelattacken mit Nystagmus zum unten liegenden Ohr bei der Lagerungsprobe, welche kurz nach Einnahme der Drehung zum kranken Ohr mit einer Latenzzeit von Sekunden auftreten und Crescendo-Decrescendo haben kann. Degenerative Form zweimal häufiger bei Frauen, symptomatische Form keine Geschlechtsbevorzugung. Häufiges Vorkommen, 30 % der 70-Jährigen hatten mindestens einmal eine solche Attacke.

Neuritis vestibularis: einseitiger oder beidseitiger Vestibularisausfall mit Dauerdrehschwindel, Nystagmus, Übelkeit und Fallneigung.

Perilymphfistel des ovalen oder runden Fensters: oft durch Tragen schwerer Lasten, Naseschnäuzen, durch Fliegen getriggert.

Morbus Ménière: Innenohrschädigung mit Hörschädigung, eventuell mit Tinnitus; zentral-vestibulärer Schwindel.

Vestibularisparoxysmie: verursacht durch hirnstammnahe Gefäßkompression mit kurzen heftigen Drehschwindelattacken mit Hörminderung und Schwindel ausgelöst durch Kopfdrehung.

Bilaterale Vestibulopathie: Gangunsicherheit, Oszillopsien bei Kopfbewegungen.

Zentraler vestibulärer Schwindel: häufig vaskulär induziert, Okulomotorik gestört Down-/Upbeat-Nystagmus, horizontaler Nystagmus, ocular tilt reaction, sowohl kurze Dreh- und Schwankschwindelattacken (vestibulobasiläre Durchblutungsstörungen) als auch Dauerschwindel können auftreten (Arnold-Chiari-Syndrom, pontomedulläre Syndrome).

Lang anhaltende Störungen bei Hirnstamminfarkten oder Blutungen.

Basilarismigräne mit Schwindel, Sehstörungen, Gang- und Standataxie und okzipitalen Kopfschmerzen.

Vestibuläre Epilepsie: kurze mit Dreh- oder Schwankschwindel einhergehende Übelkeit und ohne Erbrechen andauernde Attacken, welche häufig in einem tonisch Adversivanfall mit einer ipsiversiven Körperrotation enden.

Psychogener Schwindel: Somatisierung, z. B. bei Depression.

Phobischer Schwankschwindel: Schwankschwindel mit Gang-und Standunsicherheit bei normalem neurologischen Befund, Angst und vegetative Missempfindung.

Diagnostik

Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel: Lagerungsprobe (Lagerung, Kopfdrehung zum betroffenen Ohr, Nystagmus zum unten liegenden Ohr); Nystagmusprüfung, kalorische Innenohrtestung, Hörtests; kraniale Magnetresonanztomographie.

Therapie

Je nach Ursache.

Akuttherapie

Lagerungsschwindel: physikalische Therapie, Epley-Manöver, Lagerungstraining; Morbus Ménière: Antivertiginosa oder Dimenhydrinat, Hydrochlorothiazid, Kortison (intravenöse Gabe von 500–1000 mg über drei bis fünf Tage); Neuritis vestibularis: in den ersten drei Tagen Antivertiginosa oder Dimenhydrinat, danach Kompensationstraining.

Medikamentöse Therapie

Vestibularisparoxysmie: Carbamazepin; beidseitige Vestibulopathie: orale Gabe von Prednisolon 60 mg/Tag, Immunsuppressiva; vestibuläre Epilepsie: Carbamazepin oder Phenytoin.

Konservative/symptomatische Therapie

Physiotherapie, Lagerungstraining.

Operative Therapie

Lagerungsschwindel: in frustranen Fällen Durchtrennung des hinteren Bogengangnervs oder Verödung des Bogengangs; bei schwerem therapieresistenten Morbus Ménière: transtemporale Vestibularisneurektomie, Labyrinthektomie, Ultraschall und Kryoverfahren.

Dauertherapie

Morbus Ménière: Prophylaxe mit Histaminanalogon (Betahistin).

Bewertung

Je nach Ursache und Begleitsymptomen; gute Prognose: Lagerungsschwindel; schlechte Prognose: bilaterale Vestibulopathie; variabel: Morbus Ménière.

Autor

Iris Reuter