Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Muskelriss

Synonyme

Muskelfaserriss; Muskelverletzung

Englischer Begriff

Torn muscle fibre; Torn muscle fiber

Definition

Muskelverletzungen können in vier Grade klassifiziert werden (nach Engelhardt 2006):

  • Grad 1: Riss einzelner Muskelfasern mit intakter Faszie (Strukturvernichtung < 5 % der Muskelfasern).
  • Grad 2: Riss etlicher Muskelfasern mit intakter Faszie und lokalem Hämatom mit Kontinuitätsunterbrechung von > 5 % der Muskelfasern.
  • Grad 3: Riss zahlreicher Muskelfasern mit Teilruptur der Faszie und diffuser Einblutung bei einer Kontinuitätsunterbrechung von > 5 % der Muskelfasern.
  • Grad 4: kompletter Muskel- und Faszienriss mit Funktionsverlust.

Pathogenese

Ursache der meisten Muskelverletzungen sind plötzliche, heftige, über die Toleranzgrenzen hinausgehende Muskeldehnungen sowie Kontusionen. Diese können entweder durch ein direktes Trauma (z. B. Kontakt mit einem Gegenspieler oder Aufprall auf ein hartes Hindernis) oder durch ein indirektes Trauma (z. B. plötzliches Anspannen eines untrainierten oder nicht genügend aufgewärmten Muskels) hervorgerufen werden. Weitere Risikofaktoren sind nicht ausgeheilte Verletzungen, Infektionskrankheiten, Elektrolytstörungen, muskuläre Dysbalancen und ungeeignete Sportausrüstung.

Der Heilungsprozess läuft als Repair-Prozess in drei Phasen ab: Nach einer Destruktions- und Entzündungsphase mit Bildung eines Hämatoms zwischen den Muskelfaseranteilen folgen die Reparations- und Remodelling- bzw. Wiederherstellungsphase, die teilweise parallel ablaufen.

Symptome

Die Anamnese gibt Auskunft über den Verletzungsmechanismus. Neben Schmerzen und Kraftverlust tritt häufig schon nach wenigen Stunden eine livide Verfärbung im Verletzungsbereich auf. Je nach Grad der Verletzung sind Kontinuitätsunterbrechungen des Muskels tastbar. Häufig kann eine Verkrampfung der Muskulatur getastet werden.

Diagnostik

Die Sonographie gilt als Screeningmethode. Beim Partialriss zeigt sich in der Sonographie eine Unterbrechung und ein Parallelitätsverlust der reflexogenen fibroadipösen Septen sowie ein echofreies bzw. echoarmes begleitendes Hämatom, in das Muskelstümpfe im Sinne eines Glockenschlägerzeichens hineinragen.

Weiterhin bestehen bei ausgedehnten, randnahen Rupturen Flüssigkeitsansammlungen im Faszienschlauch und eine perifokal erniedrigte Echogenität der Muskelfasern. Bei isometrischer Kontraktion zeigt sich eine Dehiszenz der Rupturenden und in der dynamischen Muskelfunktionsprüfung eine verzögerte Kontraktion.

Beim kompletten Muskelriss besteht sonographisch eine komplette Kontinuitätsunterbrechung des Muskels mit Distraktion der Muskelenden und ein ausgedehntes, echoarmes Hämatom mit Glockenschlägerzeichen. Beim Anspannen kann der Muskel durch eine gerissene Faszienlücke treten.

Weder Muskelzerrung noch Muskelfaserrisse lassen sich sonographisch darstellen.

Ergänzend eignet sich die Magnetresonanztomographie zur Diagnostik, die insbesondere zur Darstellung schwerzugänglicher Muskelverletzungen geeignet ist.

Differenzialdiagnose

Sehnenriss, Hämatom.

Therapie

Akuttherapie

Ziel ist die Einschränkung der Ausbildung eines posttraumatischen Hämatoms. Des Weiteren Anlage eines Druckverbands, Entlastung der Extremität sowie Hochlagern der Extremität, bei Sportverletzung keine weitere sportliche Aktivität, regelmäßige Kühlung, gegebenenfalls Medikamente zur Muskelentspannung. Keine Massage oder Erwärmung der betroffenen Körperregion.

Ärztliche Kontrolle in den ersten 24 Stunden, in denen es in der Regel zum Abschluss der Hämatomausbildung kommt.

Gegebenenfalls Punktion des Hämatoms unter sonographischer Kontrolle oder Hämatomausräumung über kleine Inzision.

Konservative/symptomatische Therapie

Nach der Akuttherapie Anlage eines elastischen Druckverbands für zwei bis drei Wochen. Keine Massagen mit Muskeldehnungselementen für zwei Wochen. Gegebenenfalls vorsichtige manuelle Lymphdrainage.

Medikamentöse Therapie

Muskelrelaxantien, nicht-steroidale Antiphlogistika.

Operative Therapie

Indikation besteht bei kompletter Muskelruptur und teilweise bei Verletzungen von Grad 2 und Grad 3. Die chirurgische Therapie sollte innerhalb von 48 Stunden nach der Verletzung erfolgen. Bei Muskelabrissen von Knochenvorsprüngen oder am Knochensehnenansatz großzügige Indikationsstellung zur Refixation.

Die anschließende Rehabilitation richtet sich individuell nach dem Ausmaß der Verletzung und der Funktion des jeweiligen Muskels.

Bewertung

Unzureichende Ausheilung einer primären Muskelverletzung sowie die zu frühe Wiederaufnahme der sportlichen Aktivität können zu rezidivierenden Verletzungen der betroffenen Muskelgruppe führen. Durch Vernarbungsprozesse kann die Funktionsfähigkeit des Muskels massiv eingeschränkt werden.

Nachsorge

Regelmäßige klinische Kontrollen bis zum Ausheilen der Verletzung. Erstellung eines individuellen Rehabilitationsprogramms.

Autor

Matthias Bühler, Hergo Schmidt