Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Femurdefekt

Synonyme

Angeborener Femurdefekt; Coxa vara congenita

Englischer Begriff

Femoral hypoplasia

Definition

Partielles oder totales Fehlen im Sinn eines longitudinalen Defekts des Femurs. Durch die Missbildung kommt es zu einer Beinlängenanomalie im Wachstumsalter. Der Femurdefekt kann allein als proximale Form auftreten oder auch mit einem Fibula- und Tibiadefekt kombiniert sein. Als Vorstufe gilt die Coxa vara congenita mit meist vorhandener Pseudarthrose zwischen Schenkelhals und Hüftkopf. Epi- und Metaphyse sind varisch. Nach Blauth wird der Femurdefekt in drei Kategorien eingeteilt (siehe Tabelle 1).


Tabelle 1.
Klassifikation der Femurdefekte.

Grad I

Befall der proximalen Epiphyse und Metaphyse, der CCD-Winkel ist bereits bei der Geburt verkleinert, der Femur kann normal oder leicht verformt sein.

Grad II

Es besteht ein Defekt der ganzen proximalen Femurhälfte im Sinn einer partiellen Aplasie.

Grad III

Es ist lediglich ein distaler Femurrest vorhanden, der bis unter die Darmbeinschaufel disloziert sein kann.


Femurdefekte von Grad II und III gehen mit einer starken Beinverkürzung einher. Es handelt sich um eine Dysplasie, die ihren Schädigungszeitpunkt zwischen der vierten und neunten Schwangerschaftswoche hat.

Die primäre Form ist die angeborene Dysmelie. Diese wird unterschieden von einer sekundären Form, bei der es sich um eine Defektbildung mit anschließender Ossifikationsverzögerung im Schenkelhals handelt. Mau ordnete dieses Krankheitsbild einer lokalisierten enchondralen Dysostose zu. Der Verknöcherungsprozess der Knorpelbrücke zwischen Femurepiphyse und Wachstumszone des Trochanter major bleibt in der fetalen Zeit aus, der CCD-Winkel liegt unterhalb der Norm. Je nachdem wie stark die Verzögerung ist, findet sich eine Coxa vara bereits bei der Geburt oder später (Coxa vara congenita, Coxa vara infantum). Unbehandelt entwickelt sich eine Pseudarthrose mit gleichzeitigem Höhertreten des proximalen Femurendes und entsprechendem hinkendem Gangbild. Oft ist dies mit einer Pfannendysplasie kombiniert.

Diagnostik

Die Kinder fallen üblicherweise bei der Geburt, spätestens aber bei der ersten Kontrolluntersuchung mit Ultraschall auf, eine radiologische Abklärung ist unumgänglich.

Therapie

Man unterscheidet die Behandlung der primären und der sekundären Form. Die primäre Form muss frühestmöglich über Dauerextension, gegebenenfalls mit Thomas-Splint oder Entlastung mit Unterarmgehstützen behandelt werden. Bei kurzen Femurstümpfen ist in der Regel eine Prothesenversorgung notwendig, die aber nicht ganz einfach ist. Operativ gibt es verschiedene Möglichkeiten von der Knieresektion über Verlängerungsosteotomien, Verkürzungsosteotomien am gesunden Bein (selten), Beckenosteotomien oder gar Amputationen.

Die Therapie der sekundären Coxa vara ist operativ nicht einfach. Bei fortschreitender Varusdeformität ist eine Operation unumgänglich. Üblicherweise ist der Standardeingriff eine Aufrichtungsosteotomie, bei starker Dislokation der Kopfepiphyse die Operation nach Imhäuser (dreidimensionale Femurkorrekturosteotomie). Im späteren Wachstumsalter ist eine valgisierende verlängernde intertrochantäre Osteotomie möglich. Ein Problem aller Osteotomien in diesem Bereich ist die Rezidivgefahr der Schenkelhalspseudarthrose.

Autor

Bernhard Greitemann

FA Orthopädie, Physikalische und rehabilitative Medizin, Chefarzt und Ärztlicher Direktor Klinik Münsterland am Reha-Klinkum Bad Rothenfelde der DRV
Vorsitzender Vereinigung Techn. Orthopädie der DGOU und DGOOC
Vorsitzender Beratungsausschuss der DGOOC für das Orthopädieschuhtechnikhandwerk