Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Plattfuß, kongenitaler

Synonyme

Angeborener Plattfuß; Angeborener Pes planus; Tintenlöscherfuß; Schaukelfuß; Talus verticalis; Platypodie

Englischer Begriff

Congenital vertical talus; Congenital convex pes valgus; Pes planus; Flatfoot

Definition

Seltene angeborene Fußdeformität mit Aufhebung der Längswölbung durch hochgradig gestörte Rückfußkonfiguration mit talonavikularer Luxation.

Pathogenese

Neben einer genetischen Disposition werden zerebrale Ischämien im ersten Schwangerschaftsdrittel sowie intrauterine Zwangshaltungen als ursächlich angesehen. Weiterhin kommt der Talus verticalis gehäuft mit Schluss-Störungen des Neuralrohrs (z. B. Spina bifida) und Arthrogrypose vor. Typische Kennzeichen der Deformität sind das nach dorsal auf dem Taluskopf luxierte Os naviculare und der steil nach plantar und medial orientierte Talus. Die flache Einstellung des Kalkaneus wird durch die Verkürzung der Wadenmuskulatur verstärkt.

Symptome

Führendes Symptom der Fußdeformität ist die konvexe Fußsohle und der relativ verlängerte mediale Fußstrahl. Der Vorfuß ist abduziert und supiniert, der Rückfuß evertiert. Die auf die Verkürzung der Wadenmuskulatur zurückzuführende Spitzfußstellung des Rückfußes kann durch die Dorsalextension des Mittelfußes überdeckt werden. Die Peronealsehnen sind vor den Außenknöchel luxiert und die Fuß- und Zehenstrecker können durch die Dorsalextension des Mittel- und des Vorfußes verkürzt sein.

Ältere Kinder mit einer unbehandelten angeborenen Plattfußdeformität zeigen ausgeprägte Störungen des Steh- und Gehvermögens, da der plantar prominente Taluskopf die Hauptbelastung übernimmt.

Diagnostik

Palpatorisch lässt sich in Abhängigkeit von der Steilstellung des Talus der Taluskopf an der medioplantaren Fußsohle tasten. Die Wadenmuskulatur ist verkürzt. Die Fehlstellungskomponenten sind zumindest teilkontrakt, so dass eine manuelle Reposition nach der Geburt nicht möglich ist.

Röntgenologisch imponiert der steil nach plantar orientierte Talus und die flache Orientierung der Kalkaneuslängsachse, die sogar nach plantar abfallen kann. Der Vorfuß ist nach dorsal extendiert. Die dorsale Luxation des Os naviculare auf dem Taluskopf ist erst nach Ausbildung des Knochenkerns (drittes bis fünftes Lebensjahr) darzustellen.

Differenzialdiagnose

Anhand der klinischen Untersuchung müssen eine schwere angeborene Hackenfußdeformität und ein Talus obliquus abgegrenzt werden. Letzterer ist durch eine Hackenfußstellung des evertierten Rückfußes und eine Abduktion des Vorfußes gekennzeichnet. Die dorsale Subluxation des Os naviculare auf dem Taluskopf lässt sich hier durch Plantarflexion des Fußes ausgleichen.

Therapie

Die Therapie des angeborenen Talus verticalis besteht in einer unmittelbar postpartal einsetzenden Redressionsbehandlung. Trotzdem sind spätere operative Eingriffe meist unumgänglich.

Akuttherapie

Unmittelbar nach der Geburt beginnt die schrittweise manuelle Redression der einzelnen Fehlstellungskomponenten und die Immobilisation im Gipsverband.

Konservative/symptomatische Therapie

Trotz des frühzeitigen Behandlungsbeginns lässt sich die ausgeprägte Störung der Rückfußkonfiguration in der Regel nicht ausreichend korrigieren. Bei gutem Ansprechen kann die konservative Therapie jedoch bis zum Abschluss des ersten Lebensjahrs fortgesetzt werden.

Operative Therapie

Die operative Korrektur, die ab dem dritten Lebensmonat möglich ist, kann über einen Cincinnati-Zugang durchgeführt werden. Sie besteht in einer Achillessehnenverlängerung, einer Verlängerung der Fuß- und Zehenextensoren, einer Verlängerung und Reposition der Peronealsehnen, einem ausgedehnten lateralen und posterioren Release der Rückfußgelenke und einer Reposition des Talokalkanear- und des Talonavikulargelenks. Wenn auch nach diesen Maßnahmen keine Reposition des Talonavikulargelenks gelingt, wird eine anteilige Resektion des Os naviculare und des Taluskopfs empfohlen. Je nach Behandlungsergebnis wird bei einer verbleibenden Rückfußeversion frühzeitig eine extraartikuläre Arthrodese des Subtalargelenks (Grice-Green-Operation) empfohlen.

Dauertherapie

Eine völlige Wiederherstellung der Rückfußkonfiguration und der Rückfußbeweglichkeit ist trotz der aggressiven Therapie nicht zu erwarten, weshalb physiotherapeutische Behandlungen und individuell angepasstes Schuhwerk meist lebenslang erforderlich sind.

Bewertung

Unbehandelt führt der Talus verticalis zu schweren Stand- und Gangstörungen, da der medioplantar prominente Taluskopf die Hauptbelastung aufnimmt. Auch bei frühzeitiger Behandlung kann eine völlige Wiederherstellung des Fußes nicht erwartet werden. Mit Bewegungseinschränkungen des Rückfußes, einer Aufhebung der Längswölbung und einer Abduktion des Vorfußes ist auch nach adäquater Behandlung zu rechnen.

Nachsorge

Postoperativ muss der Fuß in Korrekturstellung über mindestens zwölf Wochen im Oberschenkelgipsverband immobilisiert werden. Anschließend sind eine intensive physiotherapeutische Behandlung auf neurophysiologischer Basis sowie eine Orthesenversorgung erforderlich. Eine regelmäßige fachärztliche Kontrolle ist bis zum Abschluss des Wachstums erforderlich, da es nicht selten zu Rezidiven kommen kann, die ein erneutes operatives Vorgehen erfordern.

Autor

Renée Fuhrmann