Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Arthropathie, diabetische

Synonyme

Diabetisches Charcot-Gelenk; Diabetische Osteoarthropathie

Englischer Begriff

Diabetic arthropathy

Definition

Gelenkerkrankung mit fortschreitenden Destruktionen, Fehlstellungen und Neigungen zu Ulzerationen infolge einer langjährigen diabetogenen Stoffwechsellage.

Pathogenese

Ursächlich liegt ein Konglomerat aus verschiedenen Problemen vor. Durch den langjährigen Diabetes kommt es einerseits zu schweren neuropathischen Veränderungen mit Störungen der Oberflächen- und Tiefensensibilität sowie der Propriozeption. Hierdurch kommt es zu Überbelastungen, Überdehnung, unkoordinierten Bewegungsabläufen. Andererseits liegt eine nervale Störung der vaskulären Steuerung vor. Es kommt zu einer fehlenden Adaptation der Gefäßeng- und Gefäßweitstellung mit einem vermehrten Blutanfall der betroffenen Extremität (venöses Pooling). Dies betrifft auch die spongiösen Lakunen. Durch den erhöhten intraossären Druck sind sekundäre osteoarthropathische Veränderungen zu erklären. Zusätzlich bestehen Störungen des muskulären Gleichgewichts. Aufgrund der diabetogenen Stoffwechsellage gibt es auch erhebliche myogene Begleitschäden, die zu unphysiologischen Gelenkbelastungen führen. Begleitet wird dies durch erhebliche koordinative Defizite im Rahmen der Neuropathie mit Gangbildstörungen. Ein weiterer pathogenetischer Faktor ist eine Störung der Kollagensysteme im Rahmen der diabetischen Stoffwechsellage, die sich ebenfalls sekundär am Knochen auswirkt.

Symptome

Schwellungen, teilweise hochgradig, abstruse Gelenkfehlstellungen, Destruktionen der tragenden Gelenkanteile, teilweise entzündliche Vorgänge imitierend, aber in der Regel schmerzarm. Nach der Lokalisation werden nach Sanders oder Frykberg verschiedene Typen unterschieden:

  1. Phalangen, Interphalangealgelenke, Metatarsophalangealgelenke, Mittelfußknochen,
  2. tarsometatarsale Gelenklinie,
  3. Fußwurzel,
  4. Sprunggelenk,
  5. Kalkaneus.

Die Verlaufsstadien der diabetischen Osteoarthropathie werden nach Levin in vier Stadien unterteilt (siehe Tabelle 1).


Tabelle 1.
Verlaufsstadien der diabetischen Osteoarthropathie.

Akutes Stadium I

Fuß gerötet, geschwollen, überwärmt, gegebenenfalls normales Röntgenbild

Stadium II

Knochen- und Gelenkveränderungen, Frakturen

Stadium III

Fußdeformitäten (Plattfuß, später Wiegefuß)

Stadium IV

plantare Fußläsionen


Diagnostik

Klinisches Bild, neurologische Untersuchung mit Stimmgabel, Monofilament. Röntgen des Fußes stehend in zwei Ebenen unter Belastung, sowie halbschräg, gegebenenfalls Magnetresonanztomographie.

Differenzialdiagnose

Osteomyelitis; Tumore

Therapie

Akuttherapie

Möglichst Ruhigstellung und Vermeidung statischer Überbelastungen. Dies heißt nicht, dass eine Extremität total entlastet werden muss, sondern es ist durch schuhtechnische bzw. orthopädie-technische Maßnahmen möglich, eine Mobilisation des Patienten unter Belastung der betroffenen Extremität, aber unter Entlastung bzw. Abstützung oder Führung der entsprechenden Areale zu ermöglichen. Schwerpunkt soll auf Vermeidung der Ulzerationen gelegt werden.

Operative Therapie

Bei schweren Destruktionen mit der Gefahr von Ulzerationen sind gegebenenfalls frühzeitig präventive orthopädisch-chirurgische Eingriffe im Sinn des Abtragens vorspringender Knochenanteile, der Resektion von destruierten Knochenanteilen (Resektionsarthroplastiken) oder Versteifungen (Gefahr der verzögerten oder nicht erfolgten Durchbauung durch die Osteoarthropathie selbst) zu erwägen.

Dauertherapie

Meist Versorgung mit schuhtechnischen oder orthopädie-technischen Hilfsmitteln. Dauerversorgung notwendig, im Fußbereich speziell bei stärkeren Fehlstellungen orthopädische Maßschuhe mit Sohlenversteifung und rückversetzter Abrollsohle.

Bewertung

Eine Osteoarthropathie kann sich sekundär stabilisieren; Voraussetzung ist, dass dieser Prozess von extern unterstützt wird. Dann sind auch Ulzerationsfolgen vermeidbar. Amputationen sind dennoch im Rahmen der Grunderkrankung und deren Folgen (Makroangiopathie, Fettembolie) nicht immer zu vermeiden.

Autor

Bernhard Greitemann

FA Orthopädie, Physikalische und rehabilitative Medizin, Chefarzt und Ärztlicher Direktor Klinik Münsterland am Reha-Klinkum Bad Rothenfelde der DRV
Vorsitzender Vereinigung Techn. Orthopädie der DGOU und DGOOC
Vorsitzender Beratungsausschuss der DGOOC für das Orthopädieschuhtechnikhandwerk