Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Arthropathie, hämophile

Englischer Begriff

Hemophilic arthropathy

Definition

Durch rezidivierende Gelenkeinblutungen bei hämophilischem Mangel an Gerinnungsfaktoren VIII, IX oder B entstehende Destruktion von Gelenken. Häufigkeit etwa 1 : 10.000.

Pathogenese

Die Hämophilie ist ein geschlechtsgebunden-rezessiv vererbtes Leiden. Frauen übertragen als Konduktorinnen das Leiden auf männliche Nachkommen. Der Schweregrad der Erkrankung ist abhängig von der verbliebenen Restaktivität der Gerinnungsfaktoren. Im Rahmen der rezidivierenden Einblutungen resultiert zunächst eine chronische hypertrophische Synovialitis und infolge der Hämatome kommt es zu trophischen Störungen. Ursächlich hierfür sind auch enzymatische Abbauprozesse mit Schädigung des Gelenkknorpels. Es entsteht das typische Blutergelenk mit Kapselfibrose, Zerstörung des Gelenkknorpels und nachfolgenden Kontrakturen sowie erheblichen Deformierungen der Gelenkkörper. Durch Blutungen in die Muskulatur (beispielsweise in der Wade) kommt es zu großen Hämatomen und zusätzlichen muskulären Dysbalancen.

Symptome

Gelenkblutungen treten meist schon im Kindes- und Jugendalter auf. Bevorzugt befallen sind Sprung-, Knie- und Ellenbogengelenke, aber auch Hüft- und Schultergelenke. Typisch ist eine schmerzhafte, ballonartige Auftreibung des Gelenks mit ausgeprägten Bewegungseinschränkungen. Bei Blutungen in die Muskulatur zusätzliche muskuläre Dysbalancen, Gefahr sekundärer Kontrakturen und Nervenläsionen.

Diagnostik

Genetische Abklärung der zugrunde liegenden Erkrankung, laborchemische Feststellung des Gerinnungsstatus und der fehlenden Gerinnungsfaktoren. Röntgenologische Untersuchung zur Darstellung von Gelenkkörperdestruktionen, gegebenenfalls Magnetresonanztomographie zur Beurteilung der Gelenkkapsel, der Muskelbeschaffenheit und bei großen Hämatomen.

Differenzialdiagnose

Diabetes mellitus, Tabes, neuropathische Arthropathien, metabolische und endokrine Arthropathien, entzündliche Gelenkerkrankungen.

Therapie

Therapeutisch ist die Substitutionstherapie mit den Gerinnungsfaktoren die entscheidende Behandlungsmaßnahme, da hierdurch rezidivierende Gelenkeinblutungen vermieden werden. Bei erfolgter Blutung lokale Kühlung, schmerzlindernde Medikamente, gegebenenfalls kurzfristige Ruhigstellungen. Punktion der Gelenke je nach Gerinnungssituation (eventuell unter Substitution). Die Punktionen sollten dann jeweils mit Gelenkspülungen kombiniert werden. Gegebenenfalls zur Gelenkführung und -entlastung Orthesen. Bei Gelenkdestruktion meist Endoprothesen, selten Arthrodesen.

Bewertung

Die Prognose der Erkrankungen ist abhängig von der Schwere der Gerinnungsstörung, von der Verhinderung von Blutungen. Operative Eingriffe können unter Substitutionstherapie vorgenommen werden und sind eventuell bei Osteotomien, Arthrodesen etc. in Betracht zu ziehen.

Autor

Bernhard Greitemann

FA Orthopädie, Physikalische und rehabilitative Medizin, Chefarzt und Ärztlicher Direktor Klinik Münsterland am Reha-Klinkum Bad Rothenfelde der DRV
Vorsitzender Vereinigung Techn. Orthopädie der DGOU und DGOOC
Vorsitzender Beratungsausschuss der DGOOC für das Orthopädieschuhtechnikhandwerk