Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Bindegewebsschwäche

Synonyme

Bindegewebslaxität

Englischer Begriff

Laxitiy of connective tissues

Definition

Auf der Grundlage einer genetisch bedingten Veränderung der biochemischen Zusammensetzung der Bindegewebe vorliegende reduzierte mechanische Belastbarkeit dieser Gewebe.

Vorkommen

Der Begriff der Bindegewebsschwäche wird vielfach verwendet, wenn klinische Zeichen einer Schwäche der Bindegewebe vorliegen (siehe Abb. 1). Bei schweren Formen liegt oft eine genetisch bedingte Veränderung in der Zusammensetzung des Kollagens mit reduzierter mechanischer Belastbarkeit vor. Die ist beispielweise beim Marfan-Syndrom aufgrund einer Störung der Fibrillinsynthese und beim Ehlers-Danlos-Syndrom aufgrund unterschiedlicher Störungen der Kollagensynthese der Fall.

Diagnostik

Anamnestisch wird nach vermehrtem Vorkommen von Distorsionen der Sprunggelenke oder Luxationen der Patellae oder Schultergelenke sowie nach leichter Verletzbarkeit der Haut gefragt. Inspektorisch findet man vielfach Abflachungen des Längsgewölbes der Füße. Klinisch fahndet man nach Zeichen eines abnorm vergrößerten Bewegungsumfangs oder einer Überstreckbarkeit verschiedener Gelenke (insbesondere Ellenbogen- und Kniegelenke). Ein klinischer Test für den Nachweis einer vermehrten Bandlaxität ist der Versuch, den Daumen durch Adduktion an den radialen Teil des Unterarms zu bringen, was beim Normalpatienten nicht gelingt (siehe Abb. 1). Hautfalten lassen sich unter Umständen abnorm weit von der Unterlage abheben.


Abb. 1.
Die Patientin mit einer erhöhten Bandlaxität kann den Daumen der einen Hand durch den Druck des anderen Daumens an die radiale Seite des Unterarms pressen. Beachte auch die Überstreckbarkeit im Interphalangealgelenk des anderen Daumens – ebenfalls ein Zeichen erhöhter Bandlaxität!

Differenzialdiagnose

Mildere Formen der Bindegewebsschwäche lassen nicht sofort an das Vorliegen genetisch definierter Syndrome denken. Bei Vorliegen einer schweren Bindegewebsschwäche in Verbindung mit einer Skoliose, Linsenluxationen des Auges oder Herzveränderungen muss jedoch an das Marfan-Syndrom gedacht werden; wenn die Hyperelastizität der Haut im Vordergrund steht kann ein Ehlers-Danlos-Syndrom vorliegen. Auch die Homozystinurie muss durch biochemische Untersuchungen abgegrenzt werden.

Therapie

Eine kausale Therapie ist nicht möglich, die orthopädische Behandlung richtet sich nach den Hauptmanifestationen.

Akuttherapie

Luxationen werden reponiert.

Konservative/symptomatische Therapie

Kräftigung der Muskulatur, um überbewegliche Gelenke muskulär zu stabilisieren. Fußdeformitäten können durch Einlagen behandelt werden, schwerere Skoliosen durch ein Korsett.

Operative Therapie

Gelenkstabilisierende Eingriffe an Knie- oder Schultergelenken, die auf reinen Weichteileingriffen beruhen (z. B. laterales Release am Knie, Kapselraffung an der Schulter), sind oft nicht von Erfolg gekrönt, da ja gerade die Bindegewebe bei diesen Patienten mechanisch abnorm schwach sind. Als Ultima Ratio bleiben hier knöcherne Eingriffe, die Indikation ist hier allerdings sehr eng zu stellen. Schwere Skoliosen bedürfen der operativen Aufrichtung, insbesondere beim Marfan-Syndrom, in dessen Rahmen Skoliosen eine besondere Progressionstendenz zeigen.

Bewertung

Sowohl die konservative als auch die operative Therapie der ausgeprägten Bindegewebsschwäche sind unbefriedigend, da die Laxität auf einem generalisierten Problem beruht, welches kausal nicht angegangen werden kann. Milde Formen der Bindegewebsschwäche führen selten zu schwerwiegenden Problemen.

Nachsorge

Bei Patienten mit Marfan-Syndrom muss an die kardiologische und augenärztliche Abklärung der begleitenden Veränderungen gedacht werden.

Autor

Nils Hailer