Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Daumen, Aplasie

Synonyme

Hypoplasie des Daumens; Daumenfehlbildung

Englischer Begriff

Thumb aplasia

Definition

Die Aplasie des Daumens beschreibt ein völliges Fehlen der Daumenanlage und wird als schwerste Form der Daumenhypoplasie (Blauth 1967) klassifiziert.

Pathogenese

Das Fehlen des Daumens kann als isolierte Missbildung der Hand bzw. des Unterarms (z. B. Aplasie oder Hypoplasie des Radius mit Klumphand) vorkommen, ist jedoch meist im Rahmen komplexer Fehlbildungssyndrome ausgeprägt (Holt-Oram-Syndrom, Samson-Gardner-Syndrom, Edwards-Syndrom).

Symptome

Das Fehlen des Daumens bedingt die Unfähigkeit zur Durchführung des Spitz- und Großgriffs. Flache Gegenstände werden zur Fixation zwischen den Langfingern eingeklemmt.

Diagnostik

Die Untersuchung beinhaltet neben dem Lokalbefund, der durch das Fehlen des Daumens gekennzeichnet ist, die eingehende Beurteilung beider oberer Extremitäten zum Ausschluss weiterer Missbildungen. Bei Verdacht auf Vorliegen eines komplexen Missbildungssyndroms empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit einem pädiatrischen Zentrum und zusätzlich die Durchführung einer genetischen Diagnostik und Beratung.

Röntgenologisch lässt sich die Aplasie des ersten Strahls verifizieren.

Differenzialdiagnose

Amputationsverletzung des Daumens.

Therapie

Wenngleich die betroffenen Kinder den fehlenden Daumen oft erstaunlich gut kompensieren können, besteht immer eine erhebliche Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Hand. In der Regel ist deshalb eine Wiederherstellung der Greiffunktion der Hand durch operative Maßnahmen indiziert.

Operative Therapie

Die Pollizisation des Zeigefingers ist die Methode der Wahl zur Erlangung einer Greiffunktion der Hand. Der Zeitpunkt der Operation kann ab dem sechsten Lebensmonat liegen. Nach dem eigentlichen operativen Eingriff sind häufig weitere operative Maßnahmen erforderlich (z. B. Längenkorrektur, Tenolyse), um die Funktion des transponierten Fingers zu erhalten oder zu verbessern.

Dauertherapie

Nach der Operation und Abschluss der postoperativen Konsolidierungsphase sind langfristige ergotherapeutische und physiotherapeutische Maßnahmen zur Gebrauchsschulung des transponierten Fingers erforderlich.

Bewertung

Durch die Pollizisation des Zeigefingers lässt sich eine kosmetisch ansprechende Funktionsverbesserung der Hand erreichen.

Nachsorge

Nach der Transposition des Zeigefingers im frühen Kindesalter sind regelmäßige fachärztliche Kontrollen erforderlich, um die Funktion und das Wachstum des Fingers zu beurteilen. Oftmals müssen weitere korrigierende Maßnahmen angeschlossen werden (z. B. knöcherne Verkürzung), um die Funktion des Daumens zu optimieren. Ein Behandlungsabschluss ist in der Regel erst nach Beendigung des Wachstums erreicht.

Autor

Renée Fuhrmann