Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Skoliose, idiopathische

Englischer Begriff

Idiopathic scoliosis

Definition

Strukturell determinierte teilfixierte oder fixierte Seitverbiegung und Rotationsfehlstellung eines oder mehrerer Wirbelsäulenabschnitte über 10° unbekannter Ätiologie.

Pathogenese

Die Mehrzahl idiopathischer Skoliosen des Kindes- und Jugendalters lässt sich ätiologisch nicht zuordnen, zeigt jedoch eine familiäre Häufung. Mädchen sind etwa viermal häufiger betroffen. Ursache der Krümmungszunahme im Wachstum ist ein asymmetrisches Wachstum der Wirbelkörper, wobei sich die hinteren Wirbelkörperanteile durch die Rotation zur Konkavseite verlagern.

Symptome

Die idiopathischen Skoliosen betreffen meist den thorakalen oder thorakolumbalen Wirbelsäulenabschnitt und nur selten die Lendenwirbelsäule. Vor allem die thorakalen Skoliosen zeigen eine deutliche Progredienz während des Wachstums und fallen den Kindern oder den Eltern durch die Asymmetrie des knöchernen Thorax auf. Funktionsstörungen der Lunge (Kurzatmigkeit) bleiben ausgeprägten Deformitäten vorbehalten. Schmerzen werden nur selten beklagt.

Lumbalskoliosen können klinisch lange unauffällig bleiben und erst durch eine scheinbare Prominenz des Beckens auf der konkaven Seite, den konvexseitigen Lendenwulst oder das konkavseitig vertiefte Taillendreieck auffallen. Rückenschmerzen werden im Gegensatz zu den thorakalen Skoliosen häufig auch schon im Jugendalter beklagt. Ältere Patienten berichten über Rückenschmerzen nach längerem Sitzen und Stehen oder gebückter Haltung, wobei keine Korrelation zum Ausmaß der Skoliose oder der Rotation besteht.

Diagnostik

Die seltene infantile Skoliose tritt während der ersten drei Lebensjahre auf und stellt sich meist als linkskonvexe C-förmige thorakale Skoliose dar. Die juvenile Skoliose tritt bei Kindern zwischen dem vierten und dem zehnten Lebensjahr auf und kann sowohl thorakal als auch lumbal ausgebildet sein. Die häufigste Form, die Adoleszentenskoliose, ist überwiegend thorakal vorhanden und weist eine rechtskonvexe Krümmung auf. Klinisch imponiert eine Seitverbiegung der Wirbelsäule, die C-förmig oder bei Ausbildung von Ausgleichskrümmungen auch S-förmig gestaltet sein kann.

Die Einteilung der idiopathischen Skoliosen kann anhand röntgenmorphologischer Kriterien (King 1983) erfolgen.

Weitere Ausführungen siehe Skoliose.

Differenzialdiagnose

Kongenitale, neuropathische, myopathische, mesenchymale, metabolisch oder traumatisch bedingte Skoliosen, Morbus Scheuermann, Spondylodiszitis, Tumor, schmerzbedingte Wirbelsäulenfehlhaltung (z. B. Ischiasskoliose bei Bandscheibenprolaps).

Therapie

Die Behandlung der idiopathischen Skoliose richtet sich nach ihrem Ausmaß, der Progredienz und dem Alter des Betroffenen und ist in der Regel bei Deformitäten bis 40° konservativ. Ziel der Behandlung ist es dabei, strukturellen Deformitäten vorzubeugen, das Ausmaß der Skoliose zu reduzieren bzw. eine Progredienz der Fehlstellung zu vermeiden. Progrediente Skoliosen über 40° stellen vor allem bei begleitenden neurologischen oder kardiopulmonalen Auswirkungen bereits im Wachstumsalter eine Indikation zur operativen Korrektur dar. Das Ziel der Behandlung ist der Ausgleich der Deformität mit Wiederherstellung des physiologischen Wirbelsäulenprofils.

Weitere Ausführungen zur Therapie siehe Skoliose.

Nachsorge

Die idiopathischen Thorakalskoliosen zeigen im Gegensatz zu den Lumbalskoliosen eine deutliche Progredienz während des präpubertären Wachstumsschubs. Dies gilt vor allem bei jüngeren Kindern und weit kranial gelegenem Scheitelwirbel. Regelmäßige fachärztliche klinische und radiologische Kontrollen (alle drei bis sechs Monate) sind deshalb mindestens bis zum Wachstumsabschluss erforderlich. Eine Befreiung vom Schulsport ist bei Skoliosen bis 40° nicht erforderlich, jedoch sollten Sportarten mit starker Stoßbelastung der Wirbelsäule (z. B. Bodenturnen, Trampolinspringen) vermieden werden. Eine Zunahme der Skoliose bis zu 1°/Jahr ist auch nach Abschluss des Wachstums möglich. Postoperativ ist eine mehrmonatige kontinuierliche klinische und röntgenologische Nachbetreuung erforderlich. Eigenständig durchgeführte Übungen zur Kräftigung der Rumpfmuskulatur sind auch hier unverzichtbar.

Autor

Renée Fuhrmann