Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Pes planovalgus calcaneus

Synonyme

Knickplattfuß; Knicksenkfuß; Plattfuß

Englischer Begriff

Flatfoot

Definition

Fußfehlform unterschiedlicher Ätiologie, die durch eine Eversion des Rückfußes, eine Abflachung der medialen Längswölbung, eine Abduktion und Supination des Vor- und Mittelfußes gekennzeichnet ist.

Pathogenese

Der juvenile Pes planovalgus ist Folge eines Missverhältnisses zwischen der ligamentären und muskulären Stabilität des Rückfußes bzw. der Fußwurzel und der einwirkenden Belastung. Dies tritt insbesondere bei generalisierten Bindegewebserkrankungen (z. B. Ehlers-Danlos-Syndrom) zutage. Häufig ist der Knickplattfuß auch mit neurologischen Erkrankungen oder muskulären Erkrankungen assoziiert.

Die mediale Längswölbung wird überwiegend durch die knöcherne Architektur des Rückfußes und der Fußwurzel aufrechterhalten. Die dynamischen Stabilisatoren (z. B. Plantarfaszie, Lig. calcaneonaviculare plantare, M. tibialis posterior) spielen dabei eine geringere Rolle. Unklar ist bislang, bei welchen Stabilisatoren es initial zum Versagen und damit zur Einleitung des „Gewölbekollapses“ kommt. Bei einer primären Entkopplung des strukturellen Rückfußgefüges durch eine entzündliche Gelenkerkrankung (z. B. rheumatoide Arthritis) kommt es zur Ausbildung einer Instabilität der talonavikularen oder navikulokuneoformen Gelenke mit nachfolgender Insuffizienz der ligamentären und muskulären Stabilisatoren.

Im Erwachsenenalter wird die Insuffizienz der Sehne des M. tibialis posterior als häufigste Ursache des Knickplattfußes angesehen. Es kommt zur mangelnden muskulären Stabilisation der medialen Fußwurzel, was mittelfristig zum Versagen der ligamentären Strukturen führt.

Pathogenetisch kommt es zur Instabilität des Talonavikulargelenks („Coxa pedis“), so dass sich der Taluskopf nach medioplantar absenkt und sich pronatorisch verdreht. Zusammen mit der Eversion des Kalkaneus und der Abduktion des Vorfußes kommt es zu einer lateralen Verlagerung der Schwerpunktlinie des Fußes.

Symptome

Kinder bis zum siebten Lebensjahr haben physiologischerweise eine Knickplattfußkonfiguration, die sich im Zehenstand aktiv aufrichtet. Diesem Befund kommt keine pathologische Bedeutung zu. Beschwerden beklagen die Betroffenen meist nicht. Der so genannte Adoleszentenplattfuß (12.–16. Lebensjahr), dessen Ätiologie unbekannt ist, kann mit einer akuten schmerzhaften Belastungsinsuffizienz einhergehen.

Bei kontrakten Deformitäten beklagen die Erwachsenen Schmerzen in Höhe des Talonavikulargelenks oder auch lateral, wobei es hier zu einem Impingement des Kalkaneus mit der Fibulaspitze kommen kann.

Diagnostik

Der klinische Befund ist gekennzeichnet durch eine Abflachung der medialen Längswölbung und eine Eversion des Rückfußes. Der Innenknöchel ist vermehrt prominent und die lateralen Zehen werden durch die Abduktion des Mittelfußes bei der Inspektion von hinten sichtbar („too-many-toes sign“). Bei flexiblen Deformitäten des Jugendlichen oder auch frühen Stadien des Knickplattfußes beim Erwachsenen kommt es im Zehenstand zur Aufrichtung der Längswölbung und Rezentrierung der Ferse. Auch die passive Dorsalextension der Großzehe bewirkt eine Aufrichtung der Längswölbung (Jack-Zeichen). Die Dorsalextension im oberen Sprunggelenk kann durch eine sekundäre Verkürzung des M. triceps surae eingeschränkt sein.

Als bildgebendes Verfahren muss ein Röntgenbild im belasteten Zustand dorsoplantar und seitlich angefertigt werden. Einerseits lässt sich dadurch vor allem der Einbruch des medialen Gewölbes und andererseits Fehlstellungen einzelner Knochen (Talus verticalis) feststellen. Zur Diagnostik einer Insuffizienz der Tibialis-posterior-Sehne beziehungsweise einer Ruptur oder Partialruptur empfiehlt sich die Magnetresonanztomographie.

Röntgenaufnahmen des belasteten Fußes zeigen die Entkopplung zwischen der medialen und lateralen Fußsäule. Das Ausmaß der Deformität kann u. a. anhand des talokalkanearen Winkels (Normalwert ca. 40°) und des talometatarsalen Winkels (Normalwert 0°) in der seitlichen Projektion und der Aufsichtsaufnahme bestimmt werden. Der Fersenauftrittswinkel (Normalwert ca. 20°) ist verkleinert.

Differenzialdiagnose

Bei kontrakten Knickplattfußfehlstellungen im Kindes- und Jugendalter muss eine Coalitio als morphologische Ursache ausgeschlossen werden.

Therapie

Während flexible Deformitäten im Jugendalter eher eine Domäne der konservativen Behandlung sind, sollte die Indikation zur operativen Korrektur beim Erwachsenen eher großzügig gestellt werden.

Akuttherapie

Nur die Behandlung des Adoleszentenplattfußes erfordert eine akute Therapie, die in einer Immobilisation des Fußes im Unterschenkelgipsverband besteht.

Konservative/symptomatische Therapie

Beim Kind und Jugendlichen mit einer Knickplattfußdeformität stehen die Kräftigung der Fußmuskulatur und die Dehnung des M. triceps surae im Vordergrund. Vom dauerhaften Gebrauch von Einlagen ist abzusehen. Bei Erwachsenen mit einer symptomatischen Pes-planovalgus-Fehlstellung sind konservative Maßnahmen zur Korrektur der Deformität nicht erfolgversprechend. Bei flexiblen Deformitäten kann eine adäquate Bettung des Fußes in Kombination mit orthopädischem Schuhwerk zu einer Beschwerdelinderung führen. Kontrakte Deformitäten können durch individuell angepasstes Schuhwerk unterstützt und gebettet werden. Eine Schmerzlinderung ist hierdurch meist nicht zu erreichen.

Operative Therapie

Die operative Therapie erfolgt stadiengerecht und besteht unabhängig vom Alter in einer Reposition des Talonavikulargelenks und einer Rezentrierung der Rückfußachse..

Bei fortgeschrittenen flexiblen Deformitäten im Kindes- und Jugendalter steht die Aufrichtung des Rückfußes im Vordergrund, was sich durch ein Implantat im Sinus tarsi („Calcaneus-Stop-Procedure“) oder eine extraartikuläre talokalkaneare Arthrodese (Operation nach Grice-Green) erreichen lässt. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, muss die laterale Fußsäule durch eine Verlängerungsosteotomie des Kalkaneus (Evans-Operation) vergrößert werden.

Im Erwachsenenalter wird bei Insuffizienz der Sehne des M. tibialis posterior die Augmentation mit der Sehne des M. flexor digitorum longus, die transossär durch das Os naviculare geleitet wird, empfohlen. Zusätzlich müssen die talonavikulare Gelenkkapsel und gegebenenfalls auch Anteile des Lig. deltoideum gerafft werden. Da der reine Weichteileingriff beim Erwachsenen nicht ausreichend ist, muss eine medialisierende Osteotomie des Kalkaneus oder eine Verlängerung der lateralen Säule (Verlängerungsosteotomie des Kalkaneus oder kalkaneokuboidale Interpositionsarthrodese) angeschlossen werden. Fortgeschrittene oder teilkontrakte Deformitäten erfordern eine talonavikulare Arthrodese oder eine Triple-Arthrodese (kalkaneokuboidale, talonavikulare und subtalare Arthrodese). Oftmals muss auch die Achillessehne verlängert werden.

Dauertherapie

Sind Arthrodesen des Rückfußes erforderlich, so ist eine Schuhzurichtung mit Mittelfußrolle empfehlenswert, um die Abrollung des Fußes beim Gehen zu erleichtern.

Bewertung

Die flexiblen kindlichen Knickplattfußdeformitäten haben eine gute Prognose und münden bei ausreichender konservativer Therapie mit Kräftigung der Fußmuskulatur meist in einem belastungsfähigen und ausreichend stabilen Fuß. Ausgeprägte Pes-planovalgus-Fehlstellungen des Jugendlichen sollten frühzeitig durch Minimaleingriffe (z. B. Sinus-tarsi-Spacer) korrigiert werden.

Beim Erwachsenen mit symptomatischer Knickplattfußdeformität auf dem Boden einer Insuffizienz der Sehne des M. tibialis posterior sollte eine stadiengerechte frühzeitige operative Korrektur erfolgen, um der drohenden Dekompensation des Rückfußes vorzubeugen.

Nachsorge

Kinder und Jugendliche mit einer Knickplattfußfehlstellung sollten bis zum Erreichen einer stabilen Fußkonfiguration fachärztlich betreut werden, um anhand des klinischen Verlaufs die Prognose der Fußfehlstellung beurteilen und gegebenenfalls operative Maßnahmen einleiten zu können.

Jugendliche und Erwachsene mit einer operativ versorgten Pes-planovalgus-Fehlstellung sollten mindestens einmal jährlich fachärztlich kontrolliert werden. Orthopädische Schuhzurichtungen oder Maßschuhe können erforderlich sein und müssen hinsichtlich ihrer Passgenauigkeit überprüft werden.

Autor

Renée Fuhrmann, Karl-Heinz Kristen, Peter Bock