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Spondylarthritis

Synonyme

Spondylarthritis ankylopoetica; Spondylitis ankylosans; Morbus Bechterew; Marie-Strümpell-Bechterew-Krankheit

Englischer Begriff

Spondylarthritis; Ankylosing spondylarthritis; Strümpell-Bechterew disease

Definition

Entzündliche Erkrankung mit Befall der Wirbelgelenke, die im Rahmen rheumatischer Erkrankungen (seronegative Spondylarthritiden) auftritt.

Pathogenese

Die Spondylarthritis weist eine genetische Disposition auf und kommt häufiger bei Männern (70 %) vor. Als ursächlich werden auch bakterielle Infektionen diskutiert (z. B. Klebsiellen, Yersinien). Die Prävalenz wird auf 0,2 % geschätzt. Das Prädilektionsalter liegt im zweiten bis vierten Lebensjahrzehnt und ist in ca. 90 % mit dem Nachweis des HLA-B27-Antigens assoziiert. Befallen sind typischerweise neben den Intervertebralgelenken die Kostovertebralgelenke, die Sternokostalgelenke und die Iliosakralgelenke (Sakroiliitis). Der bevorzugte Befall der Iliosakralgelenke und der Hüftgelenke wird auch als „Beckentyp“ bezeichnet, ein überwiegender Befall peripherer Gelenke als Panarthritis ankylosans oder „nordische Form“.

Symptome

Typisch sind langsam entstehende tiefsitzende Kreuzschmerzen, die in den frühen Morgenstunden auftreten und die Patienten zum Aufstehen veranlassen. Die Patienten klagen über eine morgendliche Gelenksteife. Weiterhin werden Schmerzen an der Ferse angegeben. Mitunter können auch die Gelenke der unteren Extremitäten schmerzhaft sein. Schwellungen eines Fingers (Wurstfinger) oder einer Zehe (Wurstzehe) sind seltene Symptome (Daktylitis) einer Spondylarthritis. Eine Rundrückenbildung mit Einsteifung der Wirbelsäule ist erst in späteren Krankheitsstadien ausgebildet. Die Kyphosierung kann soweit zunehmen, dass kein Blickkontakt mit dem Patienten mehr möglich ist. Kompensatorisch werden daher meist die Knie- und Hüftgelenke gebeugt, um eine Rückverlagerung des Rumpfs zu erreichen. Eine Mitbeteiligung des Auges (Iridozyklitis, Uveitis), des Urogenitaltrakts (Urethritis) oder des Darmtrakts (Enteritis) ist möglich (Reiter-Trias). Weiterhin können kardiale Symptome auftreten (Aortitis, Aortenklappeninsuffizienz, Herzrhythmusstörungen).

Diagnostik

Die Beweglichkeit der gesamten Wirbelsäule kann ebenso wie die Funktion von Hüft- und Kniegelenk endgradig schmerzhaft eingeschränkt sein. Um die frühzeitig eingeschränkte Reklination der Wirbelsäule zu erfassen, empfiehlt sich die Messung des maximalen Kinn-Jugulum-Abstands und die Bestimmung des Hinterhaupt-Wand-Abstands („Flèche“). Am Kniegelenk kann eine diffuse Schwellung bei diskreter Ergussbildung auffällig sein. Oft wird beim Beklopfen der Wirbelsäule und der Fersen ein Erschütterungsschmerz angegeben. Der Achillessehnenansatz kann druckschmerzhaft sein (Achillodynie). Das Mennell-Zeichen (Provokationstest der Kreuz-Darmbein-Gelenke) ist meist positiv. Die Atembreite (Thoraxumfang bei maximaler In- und Exspiration) kann eingeschränkt sein.

Die modifizierten New York-Kriterien zur Diagnosesicherung beinhalten Rückenschmerzen über mehr als drei Monate, die sich durch Bewegung bessern, Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule, reduzierte Atembreite, ein- oder beidseitige Sakroiliitis.

Röntgenologisch kann im frühen Stadium ein unauffälliger Befund an Wirbelsäule, Becken und Gelenken imponieren. Später kommt es zur Ausbildung von kleinen knöchernen Ausziehungen an tendoligamentären Ansatzpunkten. Das Iliosakralgelenk kann ein- oder beidseitig verstärkt sklerosiert und verschmälert sein und zudem kaudal Osteophyten aufweisen. Zonen aufgelockerter Knochenstruktur wechseln sich mit sklerosierten und ankylosierten Zonen ab (buntes Bild), so dass der Eindruck einer Perlenschnur entsteht. Weitere Aufschlüsse kann hierzu eine konventionelle Tomographie geben. An der Wirbelsäule imponieren kastenförmige Wirbelkörper („Tonnenwirbel“), bei denen die Konkavität der Wirbelkörpervorderkante aufgehoben ist. Neben der Sklerose der Randleisten („shining corner“) bilden sich ventral Verknöcherungen des Anulus fibrosus und des Lig. longitudinale anterius aus (Syndesmophyten), so dass die Zwischenwirbelräume knöchern überbrückt sein können. Auch die Ligg. interspinosa können zunehmend ossifizieren, weshalb im Aufsichtsbild der Eindruck einer „Bambusstab“-Wirbelsäule entstehen kann. Arosionen der vorderen Anteile der betreffenden Wirbelkörpergrund- und Wirbelkörperdeckplatten werden auch als Spondylitis anterior (Romanus-Läsion) bezeichnet.

Szintigraphisch ist die Nuklidanreicherung in Höhe der betroffenen Gelenke nachweisbar, jedoch ist die Spezifität der Untersuchung gering.

Differenzialdiagnose

Unspezifische Irritation des Kreuz-Darmbein-Gelenks, Oligoarthritis, unspezifische Arthritiden, reaktive Spondylarthritiden, Spondylodiszitis, Facettensyndrom, Bandscheibenprolaps, degeneratives Drehgleiten, Spondylolisthesis, Haglund-Exostose, hinterer Fersensporn, Coxarthrose, Gonarthrose, Erkrankungen des Urogenitaltrakts und des Abdomens, Tumoren.

Therapie

Ziel der Behandlung ist die Schmerzreduktion und die Aufrechterhaltung der Beweglichkeit durch konsequente physiotherapeutische Behandlungen und selbständig durchzuführende Übungen.

Akuttherapie

Analgetika (selten zentral wirksam), Antiphlogistika, Muskelrelaxantien.

Konservative/symptomatische Therapie

Analgetika (selten zentral wirksam), Antiphlogistika, Muskelrelaxantien, Antidepressiva. Therapeutische Lokalanästhesie des Kreuz-Darmbein-Gelenks, Triggerpunktinfiltrationen, Ultraschall, Iontophorese, TENS, Kältetherapie (Kältekammer, Kaltluft), selten Wärme.

Medikamentöse Therapie

Analgetika (selten zentral wirksam), Antiphlogistika, Anti-Tumor-Nekrose-Faktor-α-hemmende Substanzen, Azulfidine bei peripherem Befallsmuster, gegebenenfalls Bisphosphonate, Muskelrelaxantien, Antidepressiva.

Operative Therapie

Liegt ein peripheres Befallsmuster vor und bilden sich die synovitischen Schwellungen nicht innerhalb von drei bis sechs Monaten durch die medikamentöse Therapie zurück, sollte eine Frühsynovektomie der betreffenden Gelenke durchgeführt werden. Gelenkerhaltende Operationen (z. B. Korrekturosteotomien) sind bei teilweiser Gelenkdestruktion möglich. Bei fortgeschrittenem entzündlichen Gelenkverschleiß ist der endoprothetische Gelenkersatz (z. B. an Hüft- und Kniegelenk) oder die Arthrodese (z. B. am Rückfuß) möglich. Ausgeprägte Kyphosierungen der Brustwirbelsäule können operativ aufgerichtet werden. Meist ist zunächst ein ventrales Release (gelegentlich auch endoskopisch möglich) erforderlich, ehe die dorsale Instrumentierung vorgenommen werden kann. Abschließend erfolgt die ventrale interkorporelle Spondylodese.

Dauertherapie

Die medikamentöse und physiotherapeutische Behandlung ist als Dauertherapie zu verstehen. Nur durch eine konsequente Bewegungstherapie kann die Funktionalität der betreffenden Gelenke möglichst lang erhalten werden.

Bewertung

Es handelt sich um eine chronische Erkrankung, die meist langsam progredient verläuft und daher eine relativ lange Arbeitsfähigkeit des Betreffenden ermöglicht. Als prognostisch ungünstig werden ein früher Krankheitsbeginn und ein peripherer Gelenkbefall eingeschätzt. Die Kontaktaufnahme zu Selbsthilfegruppen ist empfehlenswert.

Nachsorge

Der chronisch-progrediente Charakter der Erkrankung erfordert eine kontinuierliche Betreuung des Patienten mit Erhebung des klinischen und radiologischen Befunds (alle sechs bis zwölf Monate).

Autor

Renée Fuhrmann

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