Überlastungsbruch; Ermüdungsfraktur; Insuffizienzfraktur
Stress fracture; Fatigue fracture; Insufficiency fracture
Eine partielle oder komplette Fraktur eines Knochens durch wiederholte Einwirkung von Stress. Dieser Stress ist von geringerer Intensität als der Stress, welcher notwendig ist für die Entstehung einer Fraktur durch eine einmalige Überlastungssituation.
Typischerweise kommen Stressfrakturen an Gewicht tragenden Knochen, insbesondere am Fuß und Unterschenkel vor. Man unterteilt die Stressfrakturen in Ermüdungs- und Insuffizienzfrakturen. Bei den Ermüdungsfrakturen steht der pathologische mechanische Stress im Vordergrund, bei den Insuffizienzfrakturen die pathologische endogene Knochenbeschaffenheit. Häufig sind Kombinationen von diesen Subtypen vorhanden.
Ermüdungsfrakturen
Eine Ermüdungsfraktur entsteht bei histologisch gesundem Knochen, der wiederholt Stress unterhalb der sofortigen Frakturschwelle ausgesetzt wird. Der gesunde Knochen ist stetigem Umbau und Anpassungsvorgängen unterworfen: Belastung führt über Mikrofrakturen zur Knochenresorbtion und Wiederaufbau. Der induzierte Wiederaufbau richtet sich in seiner Trabekelstruktur nach den einwirkenden Kraftvektoren und verstärkt den Knochen. Wiederholter Stress in kurzen Abständen führt zur inkompletten Reparatur, zu Umbauvorgängen und zur Ermüdungsfraktur. Im menschlichen Körper scheinen einige Knochen durch ihre Funktion und Lage prädisponiert. Beispiele mit absteigender Häufigkeit: Mittelfußknochen (Marschfraktur), Sesambeine von Hallux, Fibula, Tibia, Os naviculare etc.
Risikofaktoren für den Fatigue-Typ sind:
Insuffizienzfrakturen
Die Insuffizienzfraktur entsteht durch physiologische Belastung auf einen histologisch abnormalen Knochen. Dieser Knochen ist osteopenisch bis osteoporotisch, weniger elastisch oder beides. Häufig sind postmenopausale Frauen betroffen, aber auch Patienten mit steroidpflichtigen Erkrankungen, Morbus Paget und Diabetes mellitus.
Risikofaktoren für den Insuffizienz-Typ sind:
Schleichender Beginn der Schmerzen mit variablem Einfluss auf Aktivität und Belastbarkeit des Patienten. In ca. zwei Drittel der Fälle können die Schmerzen genau lokalisiert werden. In den übrigen Fällen ist der Schmerz eher diffus. Besteht lokal eine Druckdolenz, kann sie in Intensität sehr verschieden sein.
Normalerweise kann die Diagnose allein durch die typische Anamnese und klinische Untersuchung gestellt werden: Typischerweise hat der Patient schleichend zunehmende Schmerzen. Anfangs nur gegen Mitte bis Ende der Belastung, später auch bis in die Ruhephase nach der Aktivität. Der Patient kann sich normalerweise an kein Trauma erinnern. Bei Freizeitsportlern ist häufig der Beginn einer neuen Sportart oder ein neues Fitnessprogramm die Ursache. Bei professionell trainierenden Athleten kann bereits ein veränderter Trainingsuntergrund, ein umgestelltes Training oder ein anderes Schuhwerk eine Stressfraktur auslösen.
Konventionelle Röntgenbilder sind häufig primär unauffällig. Typischerweise kann erst zwei bis drei Wochen im Verlauf eine überschießende Kallusbildung im Röntgenbild beobachtet werden.
Die Szintigraphie ist ein bis zwei Tage nach der Verletzung positiv und zeigt eine erhöhte Umbautätigkeit im Knochen an. Magnetresonanztomographische Untersuchungen sind sensibel und spezifisch. Der Frakturverlauf und das Ausmaß der Knochenbeteiligung werden sichtbar. Typischerweise hat die Stressfraktur eine geringe Signalintensität im T1-gewichteten Bild und eine hohe Signalintensität im T2-Bild.
Adäquates Trauma.
Unabhängig von der Lokalisation sind Stressfrakturen meist wenig disloziert und reagieren gut auf Immobilisation und Stressreduktion. Je nach Ausmaß und Lokalisation der Fraktur kann mit einem Gips, einer Orthese, einem Stabilschuh oder einer steifen Sohle immobilisiert werden.
Stressfrakturen sind meist extraartikulär und werden für vier bis acht Wochen im Gips oder Brace mit Sohlenkontakt ohne Belastung ruhig gestellt. Je nach Symptomatik und Compliance des Patienten kann auch eine alleinige Entlastung an Stöcken durchgeführt werden. Eine solche funktionelle Therapie hat den Vorteil, dass Muskelatrophie, Inaktivitätsosteopenie und Propriozeptionsverlust vermindert werden.
Stressfrakturen der Metatarsalia und der Sesambeine können nach einem an Ursache und Symptom angepasstes Therapieschema behandelt werden. Je mehr Stress eine Fraktur brauchte, um zu brechen, desto weniger Entlastung verlangt die Heilung: Der Marathonläufer benötigt nur eine Sportpause, die adipöse Freizeitsportlerin einen Gipsschuh mit Entlastung.
Besonders bei Verdacht auf eine Insuffizienzfraktur oder beim Vorliegen von Risikofaktoren ist eine Vorstellung beim Endokrinologen oder Frauenarzt zu empfehlen. Generell kann eine ausgewogene Diät mit Milchprodukten empfohlen werden mit einem Zusatz von 1 g Kalzium/Tag. Bisphosphonate oder Hormonpräparate werden erst bei Indikation durch den Facharzt ergänzt.
Intraartikuläre Frakturen, wie z. B. der distalen Fibula oder des Os naviculare, können dislozieren und in Fehlstellung ausheilen. Solche Patienten profitieren von einer primär operativen Reposition und Stabilisation.
Persistente Symptome nach strikter konservativer Therapie mit Entlastung über sechs bis zwölf Wochen und Pseudarthrosen verlangen eine chirurgische Stabilisierung. Bei atrophen Pseudarthrosen kann eine Stabilisierung mit Anlagerung von autologer Spongiosa eine Heilung beschleunigen. Vitalisierende Bohrungen an Tibia und besonders an den Metatarsalia sind bei widerspenstigen Symptomen hilfreich. Bei Metatarsalfrakturen kann es durch hypertrophe Kallusbildung zu einem Versiegen der enostalen Durchblutung kommen, welche die inneren zwei Drittel der Kortikalis versorgt. In einem solchen Fall wird durch medulläres Aufbohren die Heilungskapazität des Knochens wiederhergestellt.
Operationsmethoden nach gescheiterter konservativer Therapie:
Metatarsale Schaftfrakturen werden durch eine Platte stabilisiert. Basisfrakturen der Ossa metatarsalia II und III werden durch eine tarsometatarsale Arthrodese fixiert. Jones-Frakturen (Übergang proximale Meta- zur Diaphyse des Os metatarsale V) können durch eine Zuggurtung oder besser durch eine intramedulläre Schraube versorgt werden.
Chronisch symptomatische Sesambeinfrakturen können exzidiert, débridiert oder osteosynthetisiert (Schraube, Spongiosaplastik) werden.
Ernährungstherapie. Achten auf kalziumreiche Diät, eventuell mit Kalzium-Zusatz.
Bei Indikation ist die Therapie der endokrinologischen Grundkrankheit gleichzeitig die prophylaktische Therapie der Stressfraktur.
Bei Hochleistungssportlern ist eine Modifikation des Trainings angezeigt. Die alleinige Ausheilung der Stressfraktur wird keinen bleibenden Erfolg haben, wenn anschließend die Belastung in gleicher Intensität wieder aufgenommen wird. Gemeinsam mit Trainer und Patient muss nach alternativen Trainingsmethoden gesucht werden, welche monotone Belastungseinheiten reduzieren.
Generell wird mit konservativer Therapie begonnen, wenn Anamnese und Befund zur Diagnose führen, auch wenn das Röntgenbild unauffällig ist. Die Verifizierung erfolgt durch ein Röntgenbild zwei bis drei Wochen später. Szintigraphie oder Magnetresonanztomographie werden meist nur bei Hochleistungssportlern eingesetzt, welche durch eine nicht-effiziente Therapie ein schwerwiegendes Trainingsdefizit erhalten könnten. Bei solchen Athleten ist im Einzelfall auch eine frühzeitige operative Stabilisierung gerechtfertigt, falls sich daraufhin die Rehabilitationszeit verkürzt.
Siehe Dauertherapie.
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