Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Poliomyelitis

Synonyme

Poliomyelitis epidemica anterior acuta; Kinderlähmung

Definition

Meldepflichtige Infektionserkrankung, die zu einer asymmetrischen Lähmung führt.

Pathogenese

Infektion durch Poliomyelitisviren, die Übertragung ist fäkal-oral. In Europa seltene Erkrankung aufgrund des hohen Immunisierungsgrads. Der amerikanische Kontinent ist seit 1994 frei von Poliomyelitis, jedoch treten einzelne Fälle nun zunehmend wieder durch nachlassende Impfbereitschaft, insbesondere in Afrika und im indischen Subkontinent, auf. Weltweit bestehen ca. noch 7000 Neuerkrankungen pro Jahr. Betroffen sind vor allem die Neurone der grauen Substanz, wo sich entzündliche Veränderungen und Infiltrationen von Leukozyten, Lymphozyten und Plasmazellen finden. Es kommt nach Verlust der Ganglienzellen zu einer Gliazellreaktion mit reaktivem Ödem. Nach einer Inkubationszeit bis zu 14 Tagen kommt es zu einem phasenhaften Verlauf. Zunächst wird über ein allgemeines Krankheitsgefühl und Zeichen eines grippalen Infekts geklagt, wobei es nur ca. in 5–10 % aller Infizierten zur vollen Erkrankung kommt. Man unterscheidet eine nicht-paralytische Form mit einer aseptischen Meningitis mit schwerem Meningismus und Kopfschmerz, häufig mit Blasenentleerungsstörungen und Obstipation, welche nach einigen Tagen völlig abklingt, von einer paralytischen Form, die nur bei 0,1 % der Infizierten auftritt. Zu Beginn bestehen meist Zeichen eines Lungeninfekts, dann folgt ein leichter Temperaturanstieg, häufig werden Kopf-, Rücken- und Gliederschmerzen beklagt und es kommt dann zur Ausbildung des paralytischen Geschehens.

Symptome

Bei den nicht-paralytischen Formen Zeichen einer Meningitis oder lediglich Zeichen eines generellen Infektes. Bei der paralytischen Form meningitische Zeichen, akutes Einsetzen eines Lähmungsstadiums, meistens morgens. Auftreten in rascher Folge asymmetrische schlaffe Lähmungen unterschiedlicher Ausprägung. Häufig asymmetrisch beginnend, aber auch mit Paraplegien der unteren Extremität einhergehend. Die gelähmten Extremitäten zeigen eine Areflexie. Es tritt keine Sensibilitätsstörung auf. Nach Entfieberung kommt es zu keinem weiteren Fortschreiten der Lähmungen. Bei der bulbären Form mit Beteiligung des IX. und X. Hirnnervs auch rasches Aufsteigen und Übergreifen auf Atem- und Kreislaufzentrum mit ungünstiger Prognose.

Diagnostik

Liquor: Pleozytose, erhöhte Proteinkonzentration; Virusisolierung aus Stuhl, Rachenabstrich und Liquor; PCR-Diagnostik; Nachweis spezifischer Antikörper.

Differenzialdiagnose

Myelitis, Querschnittsmyelitis, Herpes-zoster-Infektionen, Polyradikulitis.

Therapie

Symptomatisch keine antivirale Therapie verfügbar.

Konservative/symptomatische Therapie

Physiotherapie, Ergotherapie, physikalische Maßnahmen.

Bewertung

Rückbildung der Symptome über ein Jahr, Residualzustände häufig mit atrophischen Lähmungen, Gelenkveränderungen, Zurückbleiben des Extremitätenwachstums, Letalität bei 20–60 % bei Hirnstammbeteiligung.

Postpoliosyndrom: nach einem teilweise jahrelangen Intervall Verschlechterung der Symptome mit Gelenk-und Muskelschmerzen, teilweise erneuter Progression der Symptome, Ursache unklar.

Prävention: Impfung.

Nachsorge

Physiotherapie, Rehabilitation.

Autor

Iris Reuter