Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Algodystrophie

Synonyme

Morbus Sudeck; Komplexes regionales Schmerzsyndrom II (CRPS); Reflexdystrophie

Englischer Begriff

Sympathetic algodystrophy; Algodystrophic syndrome

Definition

Heute als komplexes regionales Schmerzsyndrom bezeichnete Krankheitsentität mit schmerzhafter Dystrophie der Extremitäten, gekennzeichnet durch regionale Durchblutungsstörungen der Weichteile und Knochen sowie komplexes Schmerzsyndrom.

Pathogenese

Die Erkrankung tritt überwiegend in der Folge nach Traumata, aber auch nach Myokardinfarkten oder zerebrovaskulären Störungen auf. Besonders prädisponierend scheinen brüskere Repositionsmanöver und lokale entzündliche Reaktionen zu sein. Auch bei neurologischen Erkrankungen, nach Langzeitmedikation, vor allem von Tuberkulostatika, Thyreostatika und Barbituraten, wird dieses Bild beschrieben. In etwa 20 % der Fälle ist keine Ursache zu finden (idiopathisch).

Symptome

Die Krankheit gliedert sich üblicherweise in drei Stadien mit fließenden Übergängen (siehe Tabelle 1).

Infolge verlorener Gelenkfunktionen bilden sich die Schmerzen zurück, es bleiben aber deutliche Bewegungseinschränkungen.


Tabelle 1.
Die drei Stadien der Algodystrophie.

Stadium I

Entzündliche Phase (meist zwei bis acht Wochen nach dem Ereignis mit Ruheschmerzen, verstärkt unter Belastung in der betroffenen Extremität)

Ödembildung insbesondere streckseitig sowie Gelenkschwellungen ohne Erguss. Die Haut ist oft glänzend, gerötet, überwärmt, teilweise aber auch livide und kühler als die Gegenseite (kühler Sudeck). Letzterer hat eine schlechtere Prognose mit höherer Rezidivrate. Es kommt zu Hyper- und Parästhesien an der betroffenen Extremität. In der Folge treten Muskelatrophien sowie Gelenkfunktionsstörungen auf.

Stadium II

Phase der Dystrophie (etwa ab dem dritten Monat der Erkrankung)

Allmählicher Rückgang der Überwärmung, Rötung und Schwellung. Die Haut bleibt selbst, ist aber verdickt und schlecht verschieblich. Häufig Auftreten der blassen Glanzhaut. In diesem Stadium typischerweise auch bereits Entstehen der fleckförmigen Aufhellungen und Rarefizierung der Spongiosa.

Stadium III

Atrophische Phase (nach etwa sechs bis zwölf Monaten)

Mit zunehmender Muskelatrophie, Fibrosierung von Kapsel und Bändern, Gelenkkontrakturen, typischerweise kühle, blasse, atrophische Haut, häufig mit erheblichen Funktionseinschränkungen, insbesondere der Langfinger (Hand häufig betroffen).


Diagnostik

Klinisches Erscheinungsbild, Laborparameter sind meist unauffällig. In der bildgebenden Diagnostik zeigt sich im Röntgenbild typischerweise eine fleckige Entkalkung des Knochenskeletts. Im Dreiphasenszintigramm Mehranreicherung in der Blutfüllphase und verzögerter Abfluss in der Knochenphase. In der Indium-111-Immunglobulin-G-Szintigraphie Nachweis der Extravasation von Makromolekülen. Typisch für ein stattgehabtes Sudeck-Syndrom ist auch nach Ausheilung eine gelenknahe grobsträhnige Osteopenie.

Differenzialdiagnose

Transitorische Osteoporose, sekundäre Osteoporosen, Immobilisationsschäden nach Gipsbehandlung im Sinn einer „Frakturkrankheit“.

Therapie

Eine einheitliche Therapieempfehlung besteht nicht. Prophylaktisch ist nach Frakturen an den Extremitäten eine schonende Reposition, Vermeidung von starken Schmerzen und Gewährung ausreichender Stabilisation zu fordern.

  • Stadium I: Anwendung von nicht-steroidalen Antiphlogistika, durchblutungsfördernde Mittel wie Hydergin, gegebenenfalls auch Kombination mit Barbituraten (Diazepam). Günstig auch kurz dauernde Ruhigstellung. Positiv wird die Wirkung mit Kalzitonin beschrieben. Keine Massagen, keine schmerzhaften passiven Bewegungsübungen. Unterschiedlich wird eine Kortikoidstoßtherapie in Anbetracht der Ossifikationsstörung diskutiert, es sind aber positive Ergebnisse unter gleichzeitiger Gabe eines Anabolikums beschrieben. Mittel der Wahl sicherlich Kalzitonin in Form des Nasensprays. Aus der physikalischen Therapie Lagerungstechnik in Funktionsstellung, um Kontrakturen zu vermeiden, Lymphdrainagen, Entspannungsübungen.
  • Stadium II: Fortführung der Kalzitonintherapie und Schmerztherapie mit NSAR, Beginn aktiver Bewegungsübungen, die allerdings nicht über die Schmerzgrenze hinausgehen dürfen.
  • Stadium III: intensive aktive Übungstherapien, auch im Wasser, um die entstandenen Kontrakturen durch aktive und passive Mobilisation, Ergotherapie sowie Lagerungsschienen zu behandeln.

Nachsorge

Gegebenenfalls längerfristige Weiterbehandlung zur Verminderung der Kontrakturen.

Autor

Bernhard Greitemann

FA Orthopädie, Physikalische und rehabilitative Medizin, Chefarzt und Ärztlicher Direktor Klinik Münsterland am Reha-Klinkum Bad Rothenfelde der DRV
Vorsitzender Vereinigung Techn. Orthopädie der DGOU und DGOOC
Vorsitzender Beratungsausschuss der DGOOC für das Orthopädieschuhtechnikhandwerk