Engelhardt (Hrsg.) Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie |
Median nerve palsy
Schädigung des N. medianus, welche abhängig von der Höhe der Läsion zu einem sensomotorischen Defizit im Bereich des Unterarms und der Hand oder nur im Bereich der Hand führt.
Proximale Schädigung des N. medianus in der Axilla (Plexusanästhesie), am Oberarm oder in der Ellenbeuge. 8 % der Nervenläsionen bei Humerusfrakturen beim Erwachsenen und 20 % bei Kindern betreffen den N. medianus, bei suprakondylären Frakturen liegt bei Kindern in 5 % der Fälle eine Medianusläsion meist durch Dislokation in anterioposteriorer Richtung vor. Seltene Ursachen sind Druck des Kopfs des schlafenden Partners (paralysie des amants), Verletzung im Sulcus bicipitalis durch Osteosynthesematerial, Kompression durch Struthers Ligament bei Vorhandensein eines Processus supracondylaris humeri. Im Bereich des Ellenbogens kann es bei Venenpunktionen (Inzidenz: 1 : 25.000), Anlage peripherer Venenkatheter oder durch Punktion der A. brachialis zu Verletzungen des N. medianus kommen (Inzidenz ca. 5 %, meistens nur Parästhesien).
Im Bereich des Unterarms beziehen sich 24 % der Nervenschädigungen bei Frakturen auf den N. medianus, weiterhin kann der Hauptstamm des Nervs oder der Nn. interossei bei der osteosynthetischen Versorgung von Unterarmfrakturen verletzt werden. Häufiger sind Kompressionssyndrome des Nervs beim Durchtritt durch den M. pronator teres, wo sich bisweilen ein fibröses Band zwischen M. pronator teres und M. flexor digitorum superficialis und im Bereich des Lacertus fibrosus findet.
Im Rahmen der Volkmann-Kontraktur kann der N. medianus ischämisch geschädigt werden. Der N. interosseus anterior ist ein rein motorischer Ast, dessen isolierter Ausfall als Kiloh-Nevin-Syndrom bezeichnet wird. Die Läsion tritt in ca. 50 % der Fälle spontan auf, kann aber auch im Rahmen von Unterarmfrakturen auftreten. Bisweilen wird bei der operativen Exploration ein fibröses Band oder ein komprimierendes Gefäß gefunden.
Am Handgelenk ist der N. medianus bei Schnittverletzungen gefährdet, bei distalen Radiusfrakturen finden sich in 6–7 % der Fälle Medianusverletzungen. Häufiger tritt eine Medianusverletzung nach Luxationsfrakturen der Handwurzelknochen und bei der Bennett-Fraktur mit starker Dislokation auf. Dabei kann es bis zum Zerreißen des Thenarastes kommen. Selten führt ein zu enges Uhrenband oder Armband zu Irritationen des R. palmaris.
Die häufigste Läsion des N. medianus am Handgelenk ist das Karpaltunnelsyndrom. Hierbei kommt es zu einer Kompression des N. medianus unter dem Retinaculum flexorum im fibrösen Karpaltunnel. Begünstigend wirken das Vorliegen einer rheumatoiden Polyarthritis (10 % der Patienten mit Karpaltunnelsyndrom), Anomalien im Bereich des Handgelenks, metabolische oder hormonelle Faktoren wie Menopause, Schwangerschaft, Akromegalie, Diabetes, Gicht und Urämie.
Läsionen in der Hand werden durch chronischen Druck bei beruflicher Beanspruchung und sportliche Tätigkeit wie Kegeln (bowler’s thumb) und Radfahren verursacht. Operative Verletzungen der sensiblen Endäste kommen in 3–8 % der Fälle bei Eingriffen an der Hand wegen Ganglien, Gelenkrheuma und Dupuytren-Kontraktur vor.
Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die verschiedenen klinischen Ausfälle bei Medianusläsionen.
Läsionsort, betroffener Nervenast |
Motorische Ausfälle |
Sensible Ausfälle |
Oberarm, Ellenbeuge |
Atrophie der radialen Unterarmmuskeln und des lateralen Thenars, Schwurhand bei Versuch des Faustschlusses, Pronationsschwäche, Flexionsschwäche des Daumens und der radialen Langfinger, Abduktionsschwäche des Daumens, Daumenopposition geschwächt |
radiale Handfläche und 3½ radiale Finger |
Unterarmbereich, M. pronator teres |
Muskelkrämpfe der Beugemuskeln, vorwiegend Schwäche der Daumenbeugung |
Schmerzen (Druckschmerz über Pronator teres und am Daumen) |
Unterarm, Läsion des N. interosseus anterior |
Atrophie der radialen Beugemuskulatur am Unterarm, Flexionsausfall am Endglied des Daumens und des Zeigefingers |
keine |
Karpaltunnel |
Abduktionsschwäche des Daumens, positives Flaschenzeichen, ungenügende Opposition des Daumens |
sensibel 3½ radiale Finger |
Handfläche, Läsion der Nn. digitales proprii |
sensible Störungen, Parästhesien, Schmerzen |
Klinisch-neurologische Untersuchung mit Medianusfunktionstests:
Ninhydrintest: Nachweis der reduzierten Schweißsekretion im geschädigten Versorgungbereich
Axilla-, Oberarm- und Ellenbeugenläsion: Alle Tests können pathologisch ausfallen.
Unterarm (N. interosseus): Test 4, 5 und 6 pathologisch, Pronation beeinträchtigt.
Hand/Karpaltunnel: Test 7, 8 und 9 pathologisch.
Elektromyographie/Nervenleitgeschwindigkeit zur Höhenbestimmung der Läsion und zur Bestimmung des Schweregrads, Abgrenzung zu radikulären oder Plexusläsionen durch Untersuchung nicht-medianusinnervierter Muskulatur.
Ödematöse Veränderungen, starke Schmerzen bis zur Kausalgie auf Grund vegetativer Fasern bei Medianusverletzung häufig.
Radikuläre Läsionen, untere Armplexusläsionen, Hypoplasie oder Agenesie der Daumenmuskulatur, Thoracic-outlet-Syndrom als Differentialdiagnose zum Karpaltunnelsyndrom, Kompartmentsyndrom der Beugerloge, Volkmann-Kontraktur.
Interosseus-anterior-Syndrom und Karpaltunnelsyndrom: Ruhigstellung, Krankengymnastik, antiphlogistische Therapie.
Die Versorgung des N. medianus folgt den allgemeinen Richtlinien für Versorgung von Nervenverletzungen. Bei erhaltener Kontinuität erfolgt die Neurolyse, bei Durchtrennung des Nervs End-zu-End-Koadaptation oder Überbrückung des Defekts mit Nerventransplantat. Besonders ist auf Herstellung der Sensibilität zu achten.
Bei irreparablen Schäden: Ersatzoperationen insbesondere zur Wiederherstellung der Daumenbewegungen und Beugung im Meta- und Interphalangealgelenk.
Traumatische Nervus-medianus-Läsionen ohne Einbeziehung von Karpaltunneloperationen: erhaltene Kontinuität und Neurolyse 95 % gute bis sehr gute Ergebnisse, Nervennaht 86 % gute Ergebnisse, Nerventransplantation 75 % gute Ergebnisse.
Nach Nervennaht, Neurolyse: spannungsfreie Ruhigstellung für drei Wochen, dann Physiotherapie.