Engelhardt (Hrsg.)
Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie

Kurzfingrigkeit

Synonyme

Brachydaktylie; Brachymetakarpie; Brachybasophalangie; Brachymesophalangie; Brachytelephalangie

Englischer Begriff

Brachydactyly; Brachymetacarpia

Definition

Angeborene ein- oder beidseitige Deformität der Hand mit Längenreduktion der Mittelhandknochen oder einzelner Phalangen der Fingerstrahlen.

Pathogenese

Die Kurzfingrigkeit kann exogen (z. B. durch viralen Infekt oder Noxe), durch einen autosomal-dominanten Erbgang oder durch chromosomale Aberrationen (z. B. Trisomie 18, Turner-Syndrom) hervorgerufen werden. Familiäre Häufungen sind bekannt. Traumatische oder entzündliche Schädigungen einer Epiphyse können ebenso wie eine juvenile rheumatoide Arthritis zur Ausbildung einer Brachydaktylie führen.

Symptome

Die Patienten klagen über eine ästhetisch auffallende Verkürzung eines oder mehrerer Finger, die mit einer Achsenabweichung kombiniert sein kann, oder über eine deutliche Funktionsbehinderung. Die Verkürzung eines Mittelhandknochens um etwa einen Zentimeter kann bereits eine deutliche Kraftminderung beim Faustschluss bedingen. Die Längenreduktion kann an einem oder mehreren Fingerstrahlen ausgebildet sein.

Neben einem isolierten Vorkommen ist die Kurzfingrigkeit gelegentlich mit einer Polydaktylie oder beim Krankheitsbild der Symbrachydaktylie mit Syndaktylien kombiniert.

Diagnostik

Die Kurzfingrigkeit kann die Mittelhandknochen (Brachymetakarpie), die Grundglieder (Brachybasophalangie), die Mittelglieder (Brachymesophalangie) oder die Endglieder (Brachytelephalangie) betreffen. Die Verkürzung der unterschiedlichen Skelettelemente kann nur wenige Millimeter betragen, im Extremfall auch bis zum Fehlen der End- oder Mittelglieder (Assimilationshypophalangie) reichen. Die funktionelle Beeinträchtigung ist deshalb unterschiedlich stark ausgebildet. Die klinische Untersuchung umfasst deshalb vor allem die funktionelle Beeinträchtigung durch die Brachydaktylie. Dies kann auch bei gleichzeitiger transversaler Achsenabweichung im Mittel- oder im Endglied vorliegen. Differentialdiagnostisch kann die Kurzfingrigkeit durch die Ausbildung von Nagelanlagen gegenüber der Spalthand und transversalen Fingerdefekten abgegrenzt werden.

Röntgenologisch können die verkürzten Skelettanteile erkannt und morphologische Störungen der Phalangen identifiziert werden.

Differenzialdiagnose

Spalthand, transversale Fingerdefekte, Thiemann-Krankheit.

Therapie

Bei vielen Formen der Kurzfingrigkeit ergibt sich keine funktionelle Beeinträchtigung, so dass auch keine Therapie erforderlich ist. Transversale Achsenabweichungen, die auf eine trapezförmige Ausbildung der Phalanx zurückzuführen sind, können durch Korrekturosteotomien ausgeglichen werden. Diese Eingriffe werden in der Regel im späten Vorschulalter durchgeführt. Verlängerung und Achsenkorrekturen von Mittelhandknochen sollten erst nach dem 14. Lebensjahr vorgenommen werden.

Operative Therapie

Bestehen transversale Achsenabweichungen durch Ausbildung einer trapezförmigen Phalanx, kann eine Korrekturosteotomie durchgeführt werden. Um keine weitere Verkürzung durch die Entnahme eines Korrekturkeils zu riskieren, werden in der Regel additive Korrekturosteotomien (Open-wedge-Osteotomien) durchgeführt. Verlängerungen der Grundphalangen werden meist durch kontinuierliche Distraktion herbeigeführt. Gleiches gilt für die Verlängerung der Mittelhandknochen. Selten kann bei Brachybasophalangie aus kosmetischen Gründen eine Vertiefung der Kommissur durchgeführt werden.

Bewertung

Die operative Korrektur führt zwar zu einer kosmetischen Verbesserung, kann jedoch vor allem nach Verlängerungsosteotomie zu einer unterschiedlich starken Bewegungseinschränkung der Fingergelenke führen.

Nachsorge

Nach der Korrekturosteotomie muss für vier bis sechs Wochen eine Immobilisation des Fingers durchgeführt werden. Die Distraktion eines Mittelhandknochens oder der Grundphalanx über einen Distraktor erfordert eine mehrwöchige kontinuierliche fachärztliche Betreuung, da der Distraktor in der Regel bis zum Abschluss der knöchernen Konsolidierung belassen wird. Anschließend sind eine intensive Physiotherapie bzw. Ergotherapie indiziert.

Autor

Renée Fuhrmann