Engelhardt (Hrsg.) Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie |
Glykosaminoglykane; Speicherkrankheiten
Mucopolysaccharidoses
Mukopolysaccharidosen sind lysosomale Speicherkrankheiten und beruhen auf Abbaustörungen der Glykosaminoglykane, wobei unterschiedliche Enzyme betroffen sind.
Die Mucopolysaccharidosen sind erbliche Erkrankungen, bei denen Enzymdefekte zu einer intrazellulären lysosomalen Speicherung der Glykosaminoglykane in unterschiedlichen Organen wie Zentralnervensystem, Skelettmuskulatur, Skelett, Leber und Milz führen.
In Tabelle 1 wird die Klassifikation der Erkrankungen mit Vererbungsmodus und Gendefekt aufgeführt.
Mucopolysaccharidosen |
Variante |
Enzymdefekt |
Erbgang |
Genlokalisation |
MPS I-H |
Hurler-Pfaundler-Krankheit |
α-L-Iduronidase |
autosomal-rezessiv |
4p16.3 |
MPS I-S |
Scheie-Krankheit |
α-L-Iduronidase |
autosomal-rezessiv |
4p16.3 |
MPS II |
Hunter-Erkrankung |
Iduronatsulfatsulfatase |
X-chromosomal-rezessiv |
Xq28 |
MPS III A |
Morbus Sanfilippo A |
Sulfamidase |
autosomal-rezessiv |
17q25.3 |
MPS III B |
Morbus Sanfilippo B |
α-N-Acetylglukosaminidase |
autosomal-rezessiv |
17q21 |
MPS III C |
Morbus Sanfilippo C |
N-Acetyltransferase |
autosomal-rezessiv |
14 |
MPS III D |
Morbus Sanfilippo D |
N-Acetylglukosamin-6-Sulfatase |
autosomal-rezessiv |
12q14 |
MPS IV A |
Morbus Morquio A |
N-Acetylgalaktosamin-6-Sulfatase |
autosomal-rezessiv |
16q24.3 |
MPS IV B |
Morbus Morquio B |
β-Galaktosidase |
autosomal-rezessiv |
3p21 |
MPS VI |
Morbus Maroteaux-Lamy |
Arylsulfatase B |
autosomal-rezessiv |
5q13 |
MPS VII |
Morbus Sly |
β-Glukuronidase |
autosomal-rezessiv |
7q21.11 |
MPS Typ I-H: disproportionierter Minderwuchs, geistige Retardierung, grobe Gesichtszüge, Makroglossie, Hepatosplenomegalie, Hornhauttrübung, Gelenkkontrakturen (Dysostosis multiplex).
Lebenserwartung: Die Kinder versterben meistens vor dem zwölften Lebensjahr.
MPS Typ I-S: Gelenkkontrakturen, Hornhauttrübung, Speicherung von Mukopolysacchariden in der Dura im kraniozervikalen Bereich, Kompression des Zervikalmarks, normale Körpergröße, keine zerebrale Symptomatik, häufig Aorten- oder Mitralklappeninsuffizienz oder Stenosen.
MPS Typ II: Gelenkkontrakturen, Schwerhörigkeit, Organvergrößerung, Leistenhernien, Aorten- und Mitralklappeninsuffizienz, normale geistige Entwicklung.
MPS Typ III: zerebrale Symptome, Manifestation im dritten bis fünften Lebensjahr, erworbene Sprachfähigkeit und geistige Leistungen gehen verloren, Unruhe und Schlafstörungen, Beteiligung des vegetativen Nervensystems mit Durchfällen, epileptische Anfälle und Spastik.
Lebenserwartung: maximal 20. Lebensjahr.
MPS TYP IV: disproportionierter Minderwuchs mit schwerer Deformierung von Thorax und Wirbelsäule, Überstreckbarkeit der Gelenke, Instabilität des atlantoaxialen Übergangs, pulmonale Symptome, geistige Entwicklung normal; Typ A und B klinisch nicht unterscheidbar.
MPS Typ VI: klinisches Bild vergleichbar mit Morbus Hurler, geistige Entwicklung normal, Dysostosis multiplex, Störung des kraniozervikalen Übergangs, Korneatrübung, Kardiomyopathie.
MPS Typ VII: sehr variabler Verlauf von Ähnlichkeiten mit Morbus Hurler bis zum intrauterinen Tod, nur extrem leichte Manifestationen mit geringer Skelettveränderung und normaler Lebenserwartung.
Vermehrte Ausscheidung von Glykosaminoglykanen (Nachweis mit Toluidinblaureaktion), Messung der Enzymaktivität in Leukozyten, pränatale Diagnostik durch Analyse der Chorionzotten nach Amniozentese.
Glykoproteinosen (Oligosaccharidosen), Mukolipidosen, weitere Speicherkrankheiten.
Physiotherapie, Logopädie, psychologische Behandlung, Ergotherapie, Pädaudiologie.
Im Rahmen von klinischer Phase I- bis Phase III-Studien Enzymersatztherapie für MPS I und MPS VI möglich. Erste Ergebnisse zeigen eine Minderung der Mukopolysaccharideinlagerung in der Herzmuskulatur und Typ-I-Muskelfasern. Deprivation des Substrats und Steigerung der Enzymtätigkeit durch so genannte Chaperone sind ebenfalls in der Erprobungsphase.
Gentransfertherapie, bisher experimentelles Stadium. Genmodifizierte mesenchymale Stammzellen waren in der Lage, den Enzymdefekt vom MPS I-H (Hurler-Syndrom) in Fibroblasten zur korrigieren; in Phase I-Studien war die Transplantation von Allogenen hämatopoetischer Stammzellen in der Lage, klinische Symptome teilweise zu bessern.
Die Prognose der Erkrankung ist heute noch hauptsächlich von der Art der Grunderkrankung abhängig. Eine umfassende Bewertung der experimentellen Therapien ist noch nicht möglich.