Plexusläsion; Armplexusparese; Armplexuslähmung
Brachial plexus injury
Schädigung des Armplexus mit teilweisem oder komplettem Funktionsausfall.
Man unterscheidet die obere Armplexuslähmung Erb-Duchenne von der erweiterten oberen Armplexuslähmung, der unteren Armplexuslähmung Déjerine-Klumpke und der kompletten Armplexuslähmung. Daneben treten auch atypische Lähmungsmuster auf.
Obere Armplexuslähmung (Erb-Duchenne): Innenrotationsstellung des Arms, schlaffer Muskeltonus, Ausfall der Abduktoren, Außenrotatoren, Ellenbogenbeuger einschließlich M. brachioradialis und M. supinator.
Erweiterte obere Armplexuslähmung: Bei Beteiligung von C7 sind auch die Dorsalextensoren der Hand und Finger sowie der M. triceps brachii teilweise oder ganz betroffen. Es kommt auch zum Ausfall des M. pronator teres und des M. flexor carpi radialis. Sensibilitätsstörungen bestehen fakultativ über dem M. deltoideus, an der Oberarmaußenseite und am radialen Unterarm; bei Durchtrennung der Nervenwurzeln C5 und C6 treten immer Sensibilitätsstörungen auf.
Untere Armplexuslähmung (Déjerine-Klumpke): Parese der langen Fingerbeuger (bisweilen partiell betroffen) und der kleinen Handmuskeln. Der M. triceps brachii und die langen Hand- und Fingerstrecker sind im Allgemeinen verschont. Es kommt zu einer typischen Krallhandstellung mit Hyperextension im Grundgelenk und Beugung in den Interphalangealgelenken. Die Sensibilität an der ulnaren Handseite und am ulnaren Vorderarm ist immer gestört. Häufig findet sich ein Horner-Syndrom. Untere Plexuslähmungen treten nur in 1,4 % der traumatischen Plexusläsionen isoliert auf. Differentialdiagnostisch muss die Plexusschädigung, insbesondere auf Höhe der Faszikel (siehe Tabelle 1), von einer Schädigung der Plexusendäste unterschieden werden. Während faszikuläre Lähmungen nach Trauma sehr selten auftreten, sind Läsionen des medialen Faszikels bei Strahlenschäden und beim kostoklavikulären Syndrom häufig. Es kann auch zu einer Kombination von Plexusparesen und Plexusendastausfällen kommen.
Dorsaler Faszikel |
Lateraler Faszikel |
Medialer Faszikel |
N. axillaris |
N. musculocutaneus |
N. ulnaris |
N. radialis |
lateraler Anteil des N. medianus |
medialer Anteil des N. medianus |
N. thoracodorsalis |
Die Diagnose kann in den meisten Fällen klinisch gestellt werden. Zur Einschätzung der Prognose und Klärung der Ursache ist eine weiterführende Diagnostik notwendig. Eine exakte Beurteilung der Schwere der Schädigung nach traumatischer Armplexusschädigung ist insbesondere im Frühstadium erschwert, da in den ersten vier Wochen meist eine vollständige Parese vorliegt. Läsionen auf unterschiedlichen Etagen des Armplexus sind bei traumatischen Läsionen häufig. Eine genaue topographische neurologische Untersuchung ist notwendig und sollte durch eine elektromyographische Untersuchung ergänzt werden (siehe Tabelle 2).
Betroffener Muskel/Nerv |
Läsionsort |
Besonderheit |
Mm. rhomboidei, M. serratus |
rückenmarknah, Wurzeln C5–C7 betroffen |
|
N. phrenicus |
C4 oder M. scalenus anterior |
|
N. supraclaviculares intakt |
distal des Abgangs vom Truncus superior, distal der Skalenuslücke hinter Klavikula |
Abduktion des Arms bis zur Horizontalen trotz Parese des M. deltoideus |
M. pectoralis, Pars clavicularis gelähmt |
obere Plexusparese |
M. pectoralis, Pars sternalis intakt |
M. pectoralis, Pars sternalis gelähmt |
untere Plexusparese |
M. pectoralis, Pars clavicularis intakt |
Schulterabduktion und Außenrotation gelähmt |
Läsion distal des Plexus (Skapulafraktur) |
M. pectoralis intakt |
Schulterabduktion und Außenrotation gelähmt |
keine neurogene Schädigung im Elektromyogramm nachweisbar, Rotatorenmanschettenruptur, eventuell mit Dehnung des N. axillaris und/oder N. musculocutaneus |
Elektromyographie: Untersuchung der Muskulatur zur Erfassung von Denervierungspotentialen (Fibrillationspotentiale und steile positive Wellen) ca. 14 Tage nach Verletzung sinnvoll.
Ableitung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG): auch im Akutstadium bereits sinnvoll; sensible NLG: Erniedrigung bis Ausfall des sensiblen Nervenaktionspotentials (NAP) bei Schädigung im Ganglion oder distal des Ganglions, NAP erhalten bei präganglionärer Schädigung wie bei einem Nervenwurzelausriss; motorische NLG zur Bestimmung des Schweregrads der Schädigung: Erhalt der motorischen Reizbarkeit des Nervs distal des Läsionsorts spricht für Neurapraxie und gute Prognose.
Somatosensorisch evozierte Potentiale: bei infraganglionärer Läsion Erniedrigung des Potentials bei Stimulation der Armnervs; bei supraganglionärer Läsion Erhalt des Potentials und Erniedrigung bzw. Ausfall der zervikalen Reizantwort.
Einschränkungen der Differentialdiagnostik: Häufig liegen Kombinationsverletzungen vor; ein Nervenwurzelausriss führt meist zu einer Plexuszerrung mit Mikroeinblutungen.
Röntgen HWS, Thorax: Diagnostik knöcherner Verletzungen.
Magnetresonanztomographie der Armplexusregion: Darstellung von Gewebeveränderungen, Hämatomen, Tumoren, indirekte Beurteilung des Plexus. Feinstrukturen des Plexus sind nicht zu erkennen.
Plexusläsionen müssen von Nervenwurzelausrissen unterschieden werden, wobei beide häufig zusammen auftreten. Weitere Differentialdiagnosen sind kombinierte Läsionen von Plexusendästen und die Rotatorenmanschettenruptur (siehe auch Tabelle 2).
Radiogene Läsionen müssen gegenüber Tumorrezidiven abgegrenzt werden.
Operative, lagerungsbedingte und punktionsbedingte Plexusläsionen sind durch zeitlichen Zusammenhang eindeutig zuzuordnen.
Nomenklatur: Es gilt die Einteilung der Nervenschäden nach Sunderland und Millesi mit leichten Modifikationen (Nervenschädigung). Bei Verlust der Kontinuität Grad V nach Sunderland wird ein a für avulsion (Nervenwurzelausriss) zugefügt oder ein r für Ruptur. Die beteiligten Plexusanteile werden durch arabische Zahlen in Klammern angegeben z. B. (5, 6, 7 = obere Plexusläsion mit C-Beteiligung). Die Längsausdehnung der Schädigung ist in Tabelle 3 angegeben:
Ebene der Verletzung |
Bezeichnung |
Vollständige Bezeichnung bei Kontinuitätsdurchtrennung |
Supraklavikulär: präganglionär |
α = Alpha |
α Va = Wurzelausriss |
Supraklavikulär: postganglionär |
β = Beta |
β Vr = Ruptur des Ramus ventralis |
Supraklavikulär: Primärstämme |
γ = Gamma |
γ ST = superior trunk (oberer Primärstrang) γ IT = inferior trunk (unterer Primärstrang) γ MT = medial trunk (mittlerer Primärstrang) |
Infraklavikulär: Faszikel |
δ = Delta |
δ LCd = lateral cord (lateraler Faszikel) δ PCd = posterior cord (hinterer Faszikel) δ MCd = medial cord (medialer Faszikel) |
Kombinationsverletzungen sind in der Praxis häufig und werden durch Kombination der Höhenbezeichnungen ausgedrückt, z. B. βδ. Die Buchstaben EF und EC bezeichnen external fibrosis (externe Fibrose) und external compression (externe Kompression).
Therapeutisch kommen konservative und operative Verfahren zum Einsatz.
Radiogene Plexusläsionen: vorwiegend konservative Behandlung; operative Behandlung, z. B. Neurolyse, ergibt eher Verschlechterung der Symptomatik.
Operative und lagerungsbedingte Plexusläsion: konservative Behandlung, bei Hämatombildung operative Druckentlastung.
Bei traumatischen Plexusverletzungen richtet sich die Therapie nach Begleitverletzungen, Schwere der Plexusschädigung und Prognose der spontanen Regeneration.
Traumatische Plexusläsion, offene Verletzung:
Konservative Therapie: Abduktionsschiene in 60°-Abduktion und 60°-Anteposition, Neigung und Fixation des Kopfs zur verletzten Seite (Letzteres nach Nervennähten notwendig).
Krankengymnastische Behandlung des Ellenbogengelenks, des Handgelenks und der Fingergelenke mehrfach täglich. Schulterbehandlung ab sechster bis achter Woche nach Verletzung.
Elektrotherapie der gelähmten Muskulatur (galvanische Schwellströme), Streichmassage.
Radiogene Plexusläsion: Physiotherapie, Lagerung, Kontrakturprophylaxe, Lymphödembehandlung, analgetische Behandlung einschließlich Gabe von Antidepressiva.
Operativ, lagerungsbedingte und punktionsbedingte Plexusläsion: konservative Therapie, d. h. moderate Physiotherapie, analgetische Behandlung, Lagerung des Arms auf Abduktionsschiene.
Analgetische und antiphlogistische Behandlung. Trizyklische Antidepressiva zur Schmerzbehandlung, Gabapentin zur Schmerzbehandlung; neurotrophe Substanzen siehe Nervenregeneration.
Ersatzoperationen mit Muskeltransfer erfolgen nach Abschluss der Regeneration im Plexusbereich.
Radiogene Plexusläsion: Implantation einer Schmerzpumpe.
Langfristige Krankengymnastik bis zu drei Jahren nach der Verletzung, bei Notwendigkeit von Muskel-Sehnen-Transfers dementsprechend länger.
Prognose ist von der Schwere der Nervenverletzung abhängig.
Bei Vorliegen einer Neurapraxie Rückbildung der Symptome innerhalb von zwei, längstens sechs Monaten. Bis zu einem Schweregrad II nach Sunderland kann nach Neurolyse ebenfalls eine fast vollständige Wiederherstellung der Funktion erwartet werden; Dauer der Regeneration Monate bis drei Jahre. Oft verbleiben eine erhöhte Kälteempfindlichkeit, größere Ermüdbarkeit mit Krampfneigung, insbesondere im Bereich der kleinen Handmuskeln. Tätigkeiten wie Schreiben oder Klavierspielen werden als anstrengend empfunden.
Schweregrad IIIC, IVN oder IVS: schlechtere Prognose, Neurolyse nicht ausreichend, Resektion und Nerventransplantation notwendig; diese Schäden werden intraoperativ nicht immer richtig erkannt.
Vollständige Durchtrennung, Schweregrad V oder nach Resektion von Schäden Grad IIIC, IVN oder IVS: Prognose abhängig von Defektlänge. Je länger der zu überbrückende Defekt, desto weniger Transplantate stehen zur Verfügung und je höher die Chance der Fehlleitung von Axonen. Bei der Überbrückung von Defekten vom Primärstrang zum Faszikel ist die Gefahr der Fehlinnervation wegen der starken Variation der Faserverteilung besonders groß. Bei der Wiederherstellung der Funktionen wird entsprechend der Bedeutung der einzelnen Muskelfunktionen eine Prioritätenliste aufgestellt und versucht, die Funktionen, die dem Patienten am nützlichsten sind, bevorzugt wieder herzustellen.
Prioritätenliste der Funktionen:
Ergebnisse der Plexuschirurgie nach Mumenthaler:
Wiederherstellung der:
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